2010


Mutters Jahrgang

Väterlicherseits kommen wir von dort, wo die Sandsteinfelsen schroff aus den Wäldern ragen, die von eiszeitlichen Gletschern ausgewaschenen Fluhhöhlen seit der Steinzeit bewohnt sind und das enge Tal am besten von der auf einem Sandsteinplateau gelegenen Strafanstalt überblickt werden kann. Alles auf diesem winzigen Flecken hat hier Geschichte. Das Gefängnis zum Beispiel war vor 900 Jahren ein Männerkloster mit Frauengasthaus.
Im alten Schulhaus, worin neben Asylbewerbern auch das Dorfmuseum untergebracht ist, wird die Ausstellung „Glaube, Glamour und Geschenke“ zum Thema „Konfirmation“ gezeigt. Nie hätte ich mir vorgestellt, dass es darüber so viel zu berichten gibt. Der Nostalgiewert ist enorm. Meine Schwestern und ich kommen so richtig in Fahrt, besonders beim Betrachten der Konfirmationsfotos ab 1927. Eifrig und mit Unterstützung der Museumsaufseher Röthlisberger und Liechti, suchen wir darauf nach Verwandten und Bekannten.

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Die Zukunft lesen
(Aus dem Fotoalbum von 1976)

Feriennotizen 24/07/10

Der Platz auf der Nordseite der Kirche ist leer. Weit und breit keine Gitanes, die den Touristen ein billiges Medaillon der Sainte Sarah in die Hand drücken, um den Überrumpelten dann Vergangenheit und Zukunft aus der Hand zu lesen. Verschwunden auch die kleinen Buben, welche in zu grossen Schuhen mit einem platten Fussball spielten, „Non“ sagten, wenn ein Touristenkind mitmachen wollte und auf ein „Pourquoi pas?“ antworteten „C’est la vie.“
Keine der fahrenden Frauen hütet heute die Kerzen in der Krypta und steht der hölzernen Heiligen bei, wenn sie tausendmal berührt, geküsst und geblitzt wird.

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Ganz früher hat Frau C. für den General mit der Augenklappe (selber Schuld, Spiegelung des Feldstecherglases und schnelle Reaktion eines feindlichen Schützen) geschwärmt, später noch für den polnischen Elektriker mit Schnurrbart und Friedensnobelpreis. Dann wars mit Schwärmen ziemlich Schluss.
Wie die Frauen so aus dem Häuschen geraten können wegen dieser Schwingerei ist ihr schleierhaft. Krass findet sie, dass Stätderinnen sich neuerdings mit Brunner Monika, Röthlisberger Brigitte, Blatter Katrin vorstellen und nicht mehr mit Monika Brunner, Brigitte Röthlisberger und Katrin Blatter. Familienname zuerst, wie bei den Schwingern, das sei eben urchig, und urchig sei hip. Obwohl d’Manne im Sägemehl Scheiche wie Eiche und einen Muniäcken hätten und man ihnen die Hemdsärmel bei der Hochzeit auftrennen müsse, damit die ganze Kraft Platz habe, zählten die Schwinger zu den Zärtlichen, welche das Sägemehl liebevoll von der Achsel des Gebodigten klöpferleten und ihnen tröstend über den Arm streichelten. Gewaltlos, domestiziert, die strengen Regeln befolgend, ohne Starallüren und Hinterhältigkeit und total volksnaaaaah. Und stehe dann endlich einer nach hartem Brienzern, Buren, Hüftern, Kurzen und Überspringen endlich gekrönt in der Turnhalle auf dem Podium, sei das einfach unbeschreiblich grossartig. Es schade gar nicht, im Gegenteil, wenn der „Mann wie sein Tal“ kaum ein Wort füre brösmele könne. Wenger Kilian (König Kilian I.) sagt nur: ja-eh-liebi-Lüt. So etwas habe frau schon lange schmerzlich vermisst, diese Bescheidenheit und Einfachheit. Frau C. kann sich nur wundern, traf sie doch einige dieser Schwärmerinnen in den siebziger Jahren regelmässig im Frauenbuchladen. Anscheinend ist der schwarze Muni Arnold (Königspreis) nicht ins Diemtigtal zum Fleckvieh gezogen. Er hätte nicht gepasst.
Frau C. wird kein Buch übers Schwingen schreiben. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil sie einer Familie entstammt, wo der Esstisch unter erschwungenen Preisglocken und -treicheln mit bestickten Lederriemen stand und man andauernd über eine Sporttasche mit feuchter Schwingerwäsche stolperte.

In einigen Berner Schulen hat sich der Elternrat bereits für „Schwingen statt Peace-Maken“ eingesetzt.
Endlich muss doch Schluss sein mit der feminisierten Schule!

Frau C. wünscht König William Kilian I.
alles Gute und besonders eine liebe Frau, die ist, wie das Diemtigtal.

Neuer Ausblick

Neuer Ausblick

Nach sechzehn Jahren verlasse ich das Büro im engen Altstadthaus mit der Wendeltreppe. Nicht nur die einzigartige Beleuchtung, der Blick auf die Gasse, die Touristenströme aus aller Welt, die Marktstände, die Strassenmusik und die Fasnachtsumzüge werde ich vermissen. Es wird unter meinem neuen Bürofenster auch keine Beizentische mehr geben mit Gästen, die, ohne es zu wissen, mir die persönlichsten Sachen erzählen. Als Mithörerin habe mich immer diskret verhalten, mich nie aus dem Fenster gelehnt um von oben in die Gespräche einzugreifen, obwohl ich zu diesem oder jenem schon etwas hätte sagen können.
In der langen Zeit in diesem Haus bin ich ein Teil davon geworden, versuchte immer, etwas zu verbessern oder noch hoffnungsloser: etwas zu verschönern. (Die Türangel quitscht seit Tagen erbärmlich nach Öl).
Nun ziehe ich mit Tastatur, Telefon und Maus über die Strasse ins neue Büro im Haupthaus, von mir „Mutterhaus“ genannt. Seit 1794 ist „meine“ Institution dort untergebracht. Aus dem Bogenfenster im dritten Stock sehe ich nun auf ein Dach mit Türmchen und in den Himmel.

Auch Familie Hausmeister zieht an diesem Wochenende um: vom 14. in den 12. Stock in eine grössere Wohnung. Gerade hat die Familie 40 weisse Frotée-Waschlappen mit dem Signet „Westside“ geschenkt erhalten. Zum Glück gibts ab Sonntag mehr Platz im Schrank, und ein Weisser Elefant dieser Art kann ja gut geteilt werden;-)

Aus meinen Feriennotizen (31/07/10) zu einer aktuellen Nachricht:

Wenn in den letzten Julitagen zur Fête de la Madeleine* die Stiere durch die Strassen getrieben werden, in den Courses Camarguaises die regionalen raseteurs um die Goldene Palme kämpfen und eine Corrida der nächsten folgt, dann kümmert sich auf dem Delta niemand mehr um die internationale Politik. (Auch die Fussballschlappe wird mit dem Gruss „Viva Espagna“ anstelle von „Bonjour“ lässig abgetan, schliesslich hat OM gegen Catagna 2:0 gewonnen.)
In mindestens 15 regionalen Arenen werden Ohren abgeschnitten, sowohl von ausländischen, als auch von einheimischen Matadoren. Heute eröffnet der Newcomer Alberto Aguilar, noch ein richtiges Bubi, die Fête in Beaucaire. Im regionalen Käseblatt lese ich: „Le chant des cigales unterstützt den Rhythmus des linkshändigen Kampfes mit dem Stier“. Der Toro erhält zu Beginn drei Speere von den Picadores verpasst. Das Tier stammt aus der Zucht von Antonio Lopez Gibaja. Antonio liefert für diese Eröffnungs-Corrida 6 Stiere: 590, 530, 520, 540, 585 und 575 Kilo schwere Prachtstiere. Das sind 3340 kg Fleisch für die Armen und 2 Ohren für Albertli.

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Ja, ich weiss, bin mit euch völlig einverstanden: ich sollte mich nach den Ferien endlich wieder einklinken. Danke für die netten Mails und höflichen Anfragen „en passant“! Dass ich wieder einmal etwas über die „dark side“ des Blocklebens schreiben, statt mit Heilewelt-Garten-Kindergeburtstags-Familienfest-Ferienbildern kommen soll, finde ich auch.
Nur, Entsch … : Im Moment läuft das Zusammenleben im Block gut. Die Ferienvertretungen in Haus (Sül), Garten (Marwa und Sül) und Balkon (Caroline) haben bei Hitze und Sturm immer das Richtige getan, so dass wir auf dem Rhone-Delta alles „gsorget“ geben konnten. Herzlichen Dank!
(Hier wären jetzt einige Fötis von Haus, Garten und Balkon fällig, aber ich will ja nicht zu „heil“ wirken).
Auch im Quartier scheint leider alles im Moment in geordneten Bahnen (bald neuen Tramschienen) zu laufen.
Obwohl:
Einer in grauem Trainingsanzug und Kapuze, maskiert mit dunklem Schal, versuchte vorgestern hellichten Tags eine junge Frau ihres Geldes zu berauben. Und das ausgerechnet neben dem Kleintierzoo des Quartiers, wo Geisslein lustig auf Steine klettern, Zwerghühnchen scharren und Lamas sich langweilen, während sie den nächsten Mist für unseren Garten produzieren. Der Räuber hat die Rechnung ohne einen Passanten gemacht, der ihn mit einem stechenden Blick in die Flucht schlug („Bund“ von gestern). Die nichtbestohlene junge Frau lud den Retter zu einer heissen Ovomaltine ins „Kafi Tscharni“ ein, was halt, sorry, die Welt wieder ein bisschen in Ordnung brachte.

Ich kenne mich: die Fötis werden nachgeliefert!

Leere Klammern

Nicht verwunderlich, dass mein erstes und einziges Papiertaschentuch (Enkelglace) in die schwarze Shirtwäsche gerät. Wie Kletten hängen die Fuseln am Feinen. Jeden Sommer vor den Ferien suchen mich die grössten Zweifel heim, ob ich überhaupt verreisen soll. Gibt es nicht gerade jetzt eine Menge zu erledigen? Wäre es nun nicht besonders schön in der aufgeräumten Wohnung und dem gejäteten Garten? Was, wenn irgend etwas schief geht? Habe ich alles Nötige dabei? Auch einen Hammer, damit ich die Autoscheibe einschlagen könnte, falls die Elektronik aus irgend einem Grund – Mashallah – ausfallen sollte?
Ich besorge noch eine Zeltleine mit Schnurspanner, dann hätten wirs. Hausmeisters machen zusammen mit mir Ferien, aber noch klemmt das Garagentor, die Brandklappe in Frau R.s Badezimmer konnte wieder geöffnet werden, die Sonnenstore bei W.s wird auch repariert, so wie das WC des angesäuselten Vietnamesen. Und da ist noch der Zwist in der Waschküche zu schlichten. Frau C. verlangt von Frau F. dass sie sich anpasst an die Regeln in diesem unserem Land punkto Reservemaschine und überhaupt. Die Reserve stehe für Frau C.s Defekte. Frau F. sieht das anders und braucht die Reserve für ein Zwüschedürewöschli, was Frau C. in höfliche Rage bringt.

Irgendwie schaffen wir es immer, in diesem sandigen, windigen, salzigen Platz anzukommen und auf dem Delta für einige Wochen abzuhängen – zu „tschillen“, wie das in Berndeutsch heisst.

Einen schönen Sommer!

Noch sind die warmen Jacken vom letzten Winter nicht definitv versorgt und die Füsse haben sich eben gerade in die passende Sommerbekleidung gefunden (stolpern nicht mehr an den auseinandergrittenden Bsetzisteinen der Berner Gassen) und schon flattern plumpsen die Kataloge mit der Herbst/Winter „Collection“ 2010 in den Briefkasten. Ich hoffe nun, dass sich die Frauen nicht zu zahlreich für diese Kreation entscheiden und sich mit einem Gitzihörnchen begnügen werden. Es könnte sonst zu Vekeilungen kommen unter den Lauben. Hier eine hübsche Auswahl.
Hoffentlich reicht der Hörnervorrat aus den einheimischen Beständen.
Ich jedenfalls bin zufrieden mit den kerbgeschnitzten Wetzsteinfässern aus der Hinterlassenschaft meines Vaters

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10’000 Schritte pro Tag seien ideal. Diese Zahl werde ich bis zum Abend mit Leichtigkeit erreichen, denn jetzt, um 10:10 Uhr habe ich schon 3’478. Seit vorgestern besitze ich einen Schrittzähler, das von mir gewünschte Geburtstagsgeschenk von 3rd, male. Motiviert klettere ich über Wendeltreppen, schreite durch die Lauben, suche ungenervt meinen jeden Tag anderen Weg durch Baustellen, irre zu provisorischen Haltestellen, immer in der Gewissheit, dass dadurch meine Lebensfreude gesteigert wird.
Dieses „step-by-step“ wende ich auch an, wenn ich nicht weiss, wo anfangen, weil sich irgend ein Berg vor mir türmt. Dann beginne ich mit etwas Leichtem, z. B.: eine Blume auf den Tisch stellen, die Zahngläser reinigen, die bezahlten Rechnungen ablegen … Meist gehts dann schnell weiter mit Berg abtragen, ab heute natürlich gezählt.

Deine Rückennummer wird nie mehr vergeben werden.

(Vorgesetzter zu seiner nun pensionierten Mitarbeiterin)

Yogi-Drink muess hüt no furt. Mir hei no so viu. Dä verfaut ja nume i de Ferie. I schriibe e Zedu, s’isch nume sone Frässfözu, dass d’Lüt wüsse, dass dr Yogi-Drink hüt nume e Franke choschtet. Ja, es schtimmt, hüt überchunnt me dr Yogi-Drink zum haube Priis.

Sändle, bringsch mer o eine?
Hie, Pädu, trink e Yogi-Drink, du hesch doch gärn Mocca. S’isch gsünger aus Bier.
Kuul, Yogi-Drink mit Nussgipfu! Chum, Core, nimm o eine, da treit sicher nid uuf.

I ga i Chäuer no ga reiche. Wini gseit ha: Sisch doch besser, we mene biuiger git, aus dass er no ablouft. Himbeer isch usverchouft, aber Öpfu u Mocca hets no.

Schöni Ferie!

Das Restaurant mit Blick auf Alpenkranz und lächelden See wirbt neben dem Panorama auch mit einem Kinderspielplatz. Zu erreichen ist dieser über eine Steintreppe ohne Geländer. Die Sonne brennt heiss auf Spielgeräte, Sand und Köpfe der Kleinen. Weit und breit weder Baum noch Sonnensegel. Die Terrasse ist nur mässig besetzt mit einigen Gästen aus den umliegenden Alters- und Pflegeheimen. Ich frage nach der Glacekarte und erhalte nach einiger Zeit zwei kleine Zettelchen mit den Glacearomen in Deutsch und Französisch: SchokoldeChocolat, VanilleVanille, NüsseNoisette, PistachePistache. Das entsprechende Kästchen muss angekreuzt werden, was auf dem Schiefertisch ein bisschen wacklig heraus kommt. Wir warten laange auf das schriftlich Bestellte und werden beinahe so ungeduldig wie die Kinder. Endlich kommen die Kugeln in einem schiffartigen flachen Teller. Dekoriert sind sie mit Blättern und zwei fünflibergrossen steinhart gefrorenen Geléeschnecken in Giftgelb und -grün, eine Gefahr für Gebisse jeden Alters. Wir fragen um einen zusätzlichen Löffel. Der werde gebracht, sobald sie wieder auf die Terrasse raus komme, belehrt uns die Kellnerin. Wir warten gerne und beschliessen nach einer laangen Weile, die Glace (Fr. 18 .-!) zu trinken.

Sie haben alles für Ihren Körper getan: Jogging, Yoga, Schwimmen, Gymnastik. Ihr Gesicht haben Sie vergessen! Dabei gibt es von der Unterseite der Augen bis zur Unterseite des Halses nicht minder als dreissig Muskeln vor Erschlaffung zu bewahren. Kein Problem mit Facial-Flex Ultra

Ultrastark raucht

Mit 2 Sitzungen von 2 Minuten pro Tag 2 bis 4 Monate lang wird das Gesicht gefestigt und gestärkt, die Gesichtszüge werden fester und klarer (Werbung aus „Sun Store for me“)

Ich habe beschlossen, bei „vorher“ zu bleiben und mich, wie schon seit Jahren, auf sechs Kleidungsstücke (mehrfach vorhanden, ohne Jacken, Mäntel, Unterwäsche und Schuhe) zu beschränken. Laut Zeitungsbericht soll dieses „Six items or less“ im Moment ja gerade „in“ sein, und das erst noch bei berühmten Leuten aus der Modebranche.

Sie huschen leichtfüssig über Gartenwege, verschwinden zwischen fetten Stängeln, wuchten mächtige Broccoliköpfe aus Stauden, braten Spanferkel und Lämmer, spielen schwermütige Weisen auf Handorgeln, hämmern und graben, bohren auch ab und zu wie die Merliger von Merligen (im Ausland: Schildbürger von Schilda), philosophieren unter schattigen Weinranken, versuchen vehement, aber vergeblich, ihre eigenen Familiengarten-Regeln durch zu bringen, sinnieren über das, was vorbei ist und hoffen, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist – nämlich gut. Zwar ein bisschen schlechter als früher, aber was will man? Es ist, wie es ist: eben beinahe gut.
Wenns blitzt und donnert über dem Familiengarten Bottigenmoos und der Regen in diese üppigen Parzellen prasselt, dann ist es so richtig gemütlich. Man jasst, rüstet Bohnen für den Winter, hisst mit Elégance mit einem selbstkonstruierten Haken Bierflaschen aus dem im kühlen Boden eingelassenen Kehrichteimer, trauert über zu Ende gegangene Beziehungen, blickt auch gefasst dem Tod entgegen und lässt sich immer wieder trösten vom Garten, der „einem wie ein weicher Mantel umarmt.“
Zusammen gehalten wird das wundersame, multikulturelle Völkchen von zwei Dingen: dem Vereinspräsidenten, einem Italiener, welcher auch beim Giessen die Kravatte nicht auszieht und dem Garten-Eden-Berndeutsch, welches sich sehr weit vom Emanuel Friedlischen entfernt hat und von allen Willigen verstanden wird.
Nach „Pizza Bethlehem“ ist dies ein weiterer berührender Film über Menschen aus Berns Westen. Gedreht hat ihn einer der Gärtner.

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Velosattelpellerine
Im Hirschengraben

Wie im November hängt heute der Nebel in den Bäumen. Den Fahrrädern werden in aller Frühe kecke Sattelpellerinen übergestülpt. Bei dieser Werbeaktion bleiben immerhin 30’000 Füdlibacken trocken.
Um mich bei solchem Schneckenwetter (und nach dem unsäglich leiden Spiel der Bleus) etwas aufzumuntern, schenkte mir unsere Buchbinderin einen orange-gelben Notizblock in Form einer Wendeltreppe.

Stelleninserat
(Stelleninserat in einer der beiden bernischen Zeitungen)

Sonnenklar, was hier gesucht wird: eine Lehrerin für Englisch und Französisch. Ich rate den Bewerberinnen, vor Vertragsabschluss mit der Sprachschule das Kleingedruckte zu lesen und die Augen nach weiteren Sparmassnahmen in der Institution offen zu halten.
In den Coop-Filialen ist die Lupe am Einkaufswagen montiert.
Ich erwarte mit der ersten Zeitungs-Nummer im Januar eine Lupe. Aber bitte nicht so satt eingeschweisst, dass sie weder mit den Zähnen noch mit dem Fleischmesser oder dem Schraubenzeiher aus der Verpackung operiert werden kann.

Meine Eltern halfen, wo sie nur konnten, dabei waren ihre Mittel als Kleinpächter äusserts begrenzt. Trotzdem gabs bei einigen Hilfsaktionen böses Dörflerblut. Als meine Mutter für ein Schulklavier weibelte, damit die Lehrerin den Gesang der Bauernkinder begleiten konnte, waren alle dagegen. Ein kleines Nest wie Multigen brauche so etwas nicht. Mutter schrieb nach getaner Feldarbeit einige Briefe, und als der (im Dorf verhasste) Orange Riese eine grosszügige Spende tat, wurde das Klavier gekauft. Die Eltern scheuten sich nie, wenn nötig auch „fremden“ Kindern Vater und Mutter zu sein und liebten diese wie die „Iigete“ (Eigenen). Helfen war nicht nur helfen, sondern „z’Wäg helfen“, so dass jemand schliesslich aus eigener Kraft den Weg finden konnte.
Die Sonntagsschule hätte mir als Kind nicht zugesagt, wäre uns am Schluss nicht das Negerlein vor die Nase gehalten worden. In seinem weissen Hemdchen kniete es auf der grünen Missionskasse. Wir Kinder warfen dann unser Zwänzgi (ich wenn möglich 2 Zähni) hinein, worauf das Negerlein nickte (bei mir zweimal). Allerdings war das meine erste und letzte Spende an „die Mission“. Ich sagte entschieden „Nein“, als mich eine Frau Pfarrer in die Nähgruppe bat, welche für die nackten Heiden Umhänge aus ausgedienten Leintüchern schneiderte.
Bei den möglichsten und unmöglichsten Sachen habe ich in meinem Leben geholfen, wenn auch nur im Kleinen, Lokalen, manchmal mit, aber auch ohne Erfolg. Bei der Fremdenpolizei machte ich mich verdächtig, weil mein Name als Referenz bei der Einbürgerung von jungen Ausländerinnen und Ausländern oft auftauchte. Bei den Personalsitzungen der regionalen Volksbibliothek wurde ich namentlich angehalten, die Mahngebühren „gerecht“ einzuziehen und sie den armen Familien keinesfalls zu erlassen.
Heute ist mir das Helfen ein bisschen vergangen. Ich kaufe ab und zu noch eine „Surprise“ oder sammle den Abfall vor der Eingangstüre auf. Als letzhin die junge Bettlerin mit den Wanderschuhen am Bahnhofplatz weinend an mir vorbei ging, ohne nach Geld zu fragen, tat ich nichts.

Afrka 10

Bis vor einigen Tagen habe ich meine Paniniliste immer von Hand geführt, auf einem Hüseliblatt, welches durch Falten und Enfalten bald recht mitgenommen aussah. Ein Excel-Freak (und Fussballverächter) riet mir zu einer Tabelle. Er unterlegte mit Farbe, sortierte, knuzelierte eine Formel zur tubelisicheren Verwaltung der 637+20 Bildli. Bis gestern hatten sich nur wenige in meinem Betrieb als Panini-Sammlerinnen und Panini-Sammler geoutet. Dann aber verkündete die interne Buschtrommel, dass ich „meine“ immer dabei hätte und schwups, ging Mail um Mail ein. Dank der neuen Liste kein Problem. Natürlich sammelt fast niemand für sich selber, sondern für die Söhne und Töchter;-)
Trotz reicher Ausbeute auf dem Pausenplatz, im Büro und bei allerlei Veranstaltungen bin ich noch nicht „ganz voll“. Brasilien Wappen fehlt noch. Aber mein Vorgesetzter macht morgen einen Besuch bei seiner Familie in der Ostschweiz. Dort gebe es noch eine Quelle, und dank aktualisierter Tabelle wird er diese für mich anzapfen.
Übrigens: Die Direktion meiner Institution hat das traditionelle Wettbüro (Einsatz Fr. 5.-) wieder erlaubt. Achzig Leute haben auf ihren Favoriten gewettet, der oft der gleiche geblieben ist wie vor vier, acht, zwölf, sechzehn Jahren.

Eugen Sorg hat einen guten Artikel über das Leben im Ponte Tower in Johannesburg geschrieben, den wir Blogk-Leserinnen und -Lesern (mit und ohne Südafrika-Interesse) ans Herz legen.

Wohnblöcke, die der Unterschicht ein Zuhause bieten, haben weltweit Gemeinsamkeiten, auch wenn die Unterschicht nicht in jedem Land gleich arm ist.

Das vernichtende Urteil der Aussenwelt, der allgegenwärtige Rassismus, die Loyalität der Bewohner mit ihrem Quartier, die Selbstmörder, das Abfallproblem und andere Herkulesaufgaben für den Hauswart – das gehört überall zur Blockgesellschaft.

Am vergangenen Prachts-Wochenende hatten gleich zwei Familienmitglieder Geburtstag. Gefeiert wurde am Sonntag auf dem Bauernhof bei feinem Essen (in Mutters Geschirr) und weltmeisterlichen Desserts. Es gab viele Geschichten und Fotos von früher, während die Jüngsten in den Trucken mit den alten Spielsachen kramten und Haus und Hof samt Lindenbaum begeistert in Beschlag nahmen.
Hier ein paar neue Bilder einer alten Familie:

Altes Haus, oekologisch renoviert

Alter Spruchteller Zantihansen

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