2012


Allerliebst sehen sie aus, die gebadeten Kleinkrähen in ihren Schlafanzügen, satt, Zähne geputzt, Nägel geschnitten, Kampfspuren des Tages gesalbt, nochmals Wasser getrunken, Stofftiere gefunden, Geschichte erzählt, Lied gesungen, Fenster spaltbreit geöffnet, Vorhang zugezogen, Fenster geschlossen, Vorhang etwas mehr aufgezogen, nochmals Lied gesungen, mehr/weniger zugedeckt, Gute Nahacht!? Sicher nicht! Es wird gekichert, geflattert, gehopst, Puzzleteile fallen zu Boden, Wackelhund singt: „Who let the dogs out, huw, huw…). Die ratlose Grossmutter, obwohl pädagogisch geschult, hat sich inzwischen aufs Sofa gelegt und die Augen geschlossen. Das gefällt den Kleinen nicht. Ein Ballon wird aufgeblasen und bald fluddert warme Luft ins linke Ohr der Ermatteten. Nichts zu machen, diese tut keinen Wank. Die Störefriede ziehen sich zur Beratung zurück, stürzen sich dann nach einigem Geflüster übermütig auf die Grossmutter und schreien: „Ima, mir liebe dir, Ima, mir liebe dir!!“
Ein solcher Fallfehler, das wissen kluge Kinder, reisst die Grossmutter aus dem tiefsten Schlaf. „Wenn schon, heisst es: Wir lieben DICH!“
„Heute ist wieder einmal Grossmutter-Tag,“ begrüsst mich am nächsten Morgen eine Bekannte vor dem Schulhaus und lässt sich auf die Holzbank fallen. Wir beide haben eben unsere Enkelkinder in Schule, Kindergarten und Kitta gebracht. Heute regnet es in Strömen, und jede von uns hat Regenjacken, Schirme, Helme, Znünibrote, Wasserflaschen, Turnsäckli, Rucksäcke, Roller, Musikinstrumente richtig verteilt und wird in drei Stunden die Enkelkinder zum Mittagessen abholen.

(mehr …)

Nichts los

Im Lokalblatt – man kauft es morgens zu den Baguetten und den Pains au chocolat – ist er nur marginal vorhanden: im hinteren Teil des Blattes ein Bild des neuen Präsidenten in Briefmarkengrösse, kleine Meldungen über die Kämpfe in Syrien, Euro, Griechenland, sonst Berichte über die Stierkämpfe (spanisch) und Stierspiele (provençalisch), Elton John in Nîmes, Keramikkurse, Autounfälle, Waldbrände, berühmte Sportler besuchen Kinder, Winde- und Wetternachrichten. Darf man sich den Nachrichten aus der übrigen Welt verweigern? Sollte man sich nicht eine andere Zeitung kaufen? Man tuts erst vor der Heimfahrt, liest bis dahin zahlreiche Bücher, sieht den Jungen und Jüngsten beim Schwimmen zu, liegt selbst ein bisschen im Wasser, kauft endlich einen Hut, wundert sich über die neue Freundlichkeit der Südfranzosen und darüber, dass die Datura am Wegesrand ungenutzt vor sich hin blüht. Man regt sich nicht mehr auf über die Ameisen im Kleiderschrank und die geklauten OM- und Arsenal-Badetücher, freut sich, mit der Ferienfamilie zusammen zu sein. Natürlich verlaufen solche Mifa-Ferien nicht immer störungsfrei. So sage ich jedes Jahr mindestens einmal: „Das sind meine letzten Ferien hier unten!“

(mehr …)

Chätschi heute

Kleines Mädchen liebt französische Kaugummiautomaten ebenso …

Chätschi vor 24 Jahren

… wie seine Mutter vor vierundzwanzig Jahren.

So nach und nach haben wir uns durch den Milchreisberg durchgefressen, durch Quartier-, Kita-, Gerburtstagsfeste, Diplom-, Graduatioins-, Abschlussfeiern, Schulolympiade, Zeugnisse schreiben, Zeugnisse verteilen, Kollegiumsessen, Kollegiumsausflug, Bräteln und Wandern mit Kollegium, Sportwoche im Sturm, verspätete Schulreisen, Gräber- und Gartenpflege, Arbeitsübergaben an StellvertreterInnen usw. Zwischendurch stürzte der Milchreistunnel wieder ein, aber nun ist der Durchstich bald soweit. Den Gummihammer für die Häringe des Sonnensegels haben wir heuer nicht vergessen. Er ist auf dem Delta weder zu kaufen, noch auszuleihen.
Nous vous souhaitons bonnes vacances!

Heute hat Deutschland gewonnen, 2:1 gegen Italien. Deutschland im EM-Final! In allen Quartieren Berns sind Deutsche aus Restaurants, Kirchgemeindehäusern und Wohnungen gestürmt, haben einander und jedem Passanten erzählt, wie es zu den beiden genialen Toren gegen das schwache – nein das starke! Bestens aufgestellte! – Italien gekommen sei, haben von den Balkonen und aus den Bars heraus die Namen ihrer Spieler skandiert, sich in ihre Autos gesetzt, Fahnen daraus flattern lassen, sich in einen endlosen Konvoi eingereiht und ein Riesenhupkonzert veranstaltet, das nur überschallt wurde vom immer wiederkehrenden Ruf: „Es lebe Deutschland!“.

Aber nein, so war es nicht. Das wäre nicht tolerierbar.

Schon wieder ist die Wochenteilung, wie früher Nachbar Hirsiger den Mittwoch nannte, längst vorbei. Dabei wollte ich doch etwas übers vergangene Wochenende schreiben, was ich jetzt verspätet tue, denn sonst wären meine Notizen im Minimoleskine umsonst gewesen. SamstagSonntage muss ich seit langem „planen“, was eigentlich unnütz ist, denn vielleicht verpasst man bei diesem Überangebot an Events immer das noch Interessantere. Weder Flüchtlingstag auf dem Bundesplatz, noch Kantonal Bernisches Jodlerfest in Schwarzenburg, Brocante in Düdingen, Greenfield in Interlaken oder Offene Gartentür in Wabern konnte ich am letzten Wochenende berücksichtigen, leider auch nicht die Einweihung des neuen Kinderspielplatzes des Kompetenzzentrums für Demenz in meiner Nachbarschaft. Denn ich musste zum Hausmann, besser gesagt: zum Hausmann der Nation. Der gab eine Vorstellung im Tscharni. Ich kenne ihn ja nur vom Brüggepuur Migros Magazin, wo er die wöchentliche Kolumne schreibt. Da unser Quartier, ausser ab und zu den Stadtpräsidenten, selten Promis zu Besuch hat, wollte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das Publikum bestand, wie erwartet, hauptsächlich aus Frauen, mehr älteren als jungen. Meine Nachbarin Barbara, die Zeitungsverteilerin, fand es super, den Hausmann mal in echt zu sehen und erst noch gratis.
Wenn einer dann anfängt mit „Tscharnerguet, du bisches„, wie es der Berner aus Zürich tat (verwandt mit Chlöusu Friedli), kann er anschliessend beinahe alles erzählen.

(mehr …)

Hüt bi-ni- scho früeh uf u ha als erschts d’Balkontür g’ölet, die rugget scho sit Langem u ds Ölpintli steit o scho lang ume u isch mer im Wäg.
Geschter ha-ni d’Winterzibele usgmacht.

Winterzwiebeln 2012

Eigentlech hätt i drmit no chönne warte, aber i ha gförchtet, dr Räge mach se de zfule u das wär schaad gsi.
Hinger de Alpe schint zwar im Momänt d’Sunne i wissi Wulchefätze, aber über de Voralpe, dr Nünene u em Gantrisch bis zum Ochse hange scho wider schwarzi Rägewulche.
Früech ufstah finge-n-i guet. I cha de alls erledige, was mer geschter zwider isch gsi, so chlis Gschmöis, wi äbe die Balkontür öle oder Poscht sortiere u ändlech Zyttigsartikle läse, wo n-i ha gsammlet oder eifach e chli zum Fänschter us luege u warte, bis dr Tag richtig agfange het.
Im Momänt isch vil los. Ehrlech gseit wurmets mi, dass i für d Euro 2012 keni Bildli gsammlet ha. Aber d’Tuuschpartner hei mer eifach gfählt u das wär ja das, was eim Spass macht. Ganz verzichte muess i zum Glück als Pensionierti nid uf Fuessballfröideli. Mini früechere Arbeitskollege, si si o mini Fründe, gö mit mir gärn es Spil ga luege, sigs i ds Pub, i irgend ene Beiz am Stadtrand oder äbe hüür i dä Schuppe …

In-Schuppen

… wo dr Räge i Biimer tropfet u de ds Signal für ne Momänt verlore cha ga, was ds Volk nid stört. Mi roukt Gras u angers, isst e Wurscht, für d’Vegetarier gits Falafel, trinkt es Burgdorfer Bier, hocket uf spröde Plastikstüehl u hoffet, dass es während em Bildusfall ändlech 1:1 gä het, was aber am Samschtig im erschte Spil nid dr Fall isch gsi, obwohl d’Ching i ihrne Messi- u YB-Liibli „Hopp Holland, hopp Holland“ gschroue hei u dä hinger mir sogar „Heilandtonnergähtimändlechgodverdomme“ gmööget het. Mir het die schäbegi Lokeischen guet gfalle. I bi mer vorcho wie im Usland, obwohl’s ja nume es Quartier am angere Ändi vo dr Stadt isch gsi. Inzwüsche ha-n-i ghört, äs sig e „In-Schuppe“ für Schutte z’luege.
Itz schiint d Sunne uf d Blüemlisalp, wo d’Lücke zwüschem Gurte u em Ulmizbärg usfüllt. Vom 16. Stock us gseh, isch dert obe mit em Iisch u-n-em Schnee no alles ir Ornig.
E guete Tag!

Hanneli

Johanna Schenk, um ihren 5. Geburtstag, „Hungihüsli“ Biembach,
August 1927

Als Kind habe ich mich oft geärgert, wenn die Eltern uns z’Visite (zu Besuch) mitnahmen zu Leuten, bei denen wir einen guten Eindruck machen mussten und dadurch mit Sicherheit ein öder Sonntag bevor stand. Einer dieser Besuche führte uns – an Pfingst- oder Bettagen – von einer kleinen Bahnstation im Emmental zu Fuss hinein in ein enges Tal und dann steil hinauf über die Kuhweide, einer Haselhecke entlang zu einem Bauernhof. Vom finsteren Schopf trat man durch die Haustür in eine noch düsterere Rauchküche.. Der alte Bauer führte uns in die Stube, wo wir alle auf einer schmalen Wandbank Platz nahmen. Als nächste kam dann Frau Fankhauser, die alte Bäuerin, um uns zu begrüssen. Ihr Gesicht glich einem roten Herbstapfel und ihr Haar einem weissen zerzausten Vogelnest. Ihre Tochter Frida, die junge Bäuerin, sass meist auf dem Sandsteinofen uns gegenüber und sprach hauptsächlich mit meinem Vater, während sie mit einer Leidensmiene die mit schwarzer Salbe verklebten Stützverbände von ihren Beinen wickelte. Immer gab’s etwas zum Jammern: die Krampfadern, der nasse Frühling, die spät gesetzten Kartoffeln, das zugekaufte Heu, der Stall, der Mann, der Goggelüsche (Keuchhusten) vom Bub.
Vater hörte geduldig zu und Mutter machte einen zufriedenen Eindruck. Nach und nach drückten sich dann auch die schüchternen Kinder durchs Türgreis (Türrahmen), nuckelten an Schoppen, Schnullern oder Gungitüchern und schauten uns mit grossen Augen an. An den jungen Bauern, den angeheirateten, erinnere ich mich nicht. Wahrscheinlich war der Sonntag sein Vereinstag. Später holte die alte Frau Fankhauser mit einer Stange eine schwarze Wurst aus dem Rauch, brühte Kaffee auf und gab uns Zvieri. Dann machten wir uns wieder auf den Heimweg, rannten munter den Berg hinunter, traten in Kuhfladen und erreichten das Tal mit Grasflecken auf den hellgrauen Strümpfen oder weissen Kniesocken. Jetzt waren wir wieder frei.
Es sollte Jahre dauern, bis ich realisierte, weshalb meine Mutter solchen Wert auf diese Besuche legte und darauf achtete, dass die ganze Familie schön angezogen, gewaschen und gekämmt war.

Im Alter von kaum sieben Jahren kam sie als Verdingkind auf diesen Hof. Ihre beiden älteren Brüder waren bereits bei Bauern verdingt. Obwohl ihre Eltern fleissig arbeiteten, konnten sie mit zwei Hungerlöhnchen höchstens ein Kind ernähren. Schweren Herzens entschlossen sie sich, abwechslungsweise immer eines zu Hause zu behalten. Als dann noch ein viertes Kind, der Wernerli ankam, sollte auch er verdingt werden. Er weinte aber so bitterlich, dass seine drei Geschwister einverstanden waren, dass der kleine Bub zu Hause bleiben durfte. Meine Mutter blieb bis zum Ende ihrer Schulzeit bei Fankhausers verdingt. Neben zahlreichen harten Arbeiten auf dem Feld, einem beschwerlichen Käserei- und Schulweg musste sie auch noch für das Wohl der Bauerstochter Frida sorgen.

Kein Wunder, dass sich das ehemalige arme Tröpfli von Verdingkind gerne mit seiner eigenen (geputzten und gestrählten) Familie bei seinen alten Meistersleuten zeigte.

(mehr …)

Hahn

Im Moment könnten einem Gärten zum Hals raus hängen. Keine Zeitung, kein Magazin, die nicht irgendetwas über Grünzeug schreiben, kein Fernsehsender, der keine Tipps und Tricks zur Selbstversorgung auf dem schmalsten französischen Balkon berät. (In L.A. sind bepflanzte Kloschüsseln auf chicen Dachgärten der Renner, und in England muss das Lustwandeln, Lustgraben und Lustpflanzen im Klostergarten, – an- oder ausgezogen – für den September schon jetzt gebucht werden). Besonders der urbane Garten ist im Moment absolut in, denn Raum ist in der kleinsten Tüte. Von Beiträgen in Blogs und Gartenblogs rund um die Welt nicht zu reden. Dass ein kleiner Film wie „Unser Garten Eden“ eben einen europäischen Preis gewonnen hat, ist in dieser Zeit der urbanen Selbstversorgung nicht verwunderlich. (Der Film wurde in meiner Nachbarschaft gedreht.) Ganz klar sind in dieser unserer Stadt zahlreiche Zierkübel mit Raps oder einem Pro-Spezia-Rara-Kraut bepflanzt. Bald sollen ja auch die ausgedienten Einkaufswagen in Bern gelb gespritzt, für den mobilen städtischen Gemüseanbau frei gegeben werden.
Auf dem Samstagsmarkt ist es mit diesem Gartenvolk echt grässlich! Vor dem Stand mit Gemüsesetzlingen: „Schahatz, (Muntsch-muntsch), möchtest du Rot- oder Weisskabis?“ „Ich habe eigentlich an Spitzkabis gedacht (Muntsch-muntsch)“. Und wie freuen sich diese Leute, wenn die Märitfrau sagt: „I gibe-n-ech no-n-es Stüdeli drüber-i, ds einte isch e chly n-es Miggerigs“. Am besten verlässt man diesen überbordend fröhlich-bunten Ort sofort, wo an jeder Ecke Pflanzpläne geschmiedet und Pflanzmisserfolgen der vergangenen Jahre auf den Grund gegangen wird. Aber ja nicht über eins der zahlreichen Kleinkinder stolpern, welchen der Platz im Kinderwagen von Setzlingen weggenommen wurde!
Das alles geht ja noch. Am schlimmsten sind diese angefressenen Gärtnerinnen und Gärtner in der Familie. Bei jedem Essen hört man eine Story über den Salat – Eichblatt, Kopf, Kresse, Schnitt – der dank Frühbeet früh im Jahr auf den Teller kommt, von den Kräutern, die, Baruch haSchem und Alhamdulillah, dem eisigen Frost getrotzt haben, von dem Lattich, der als Gratin besonders fein schmeckt, der Minze (es gibt davon viele Sorten), bei welcher die marrokanische besonders minzig schmeckt. An jedem Löffel Rhabarberkompott hängt ein Geschichtchen – wie lange darf man ernten, wie rotodergrünoderdoch rotgrün darf der Stängel sein, welche Nachbarn bekommen etwas, jede Beere wird kommentiert – von Schnecken durch Piniennnadelunterlage oder aus verlassenenm Garten gerettet. Eeendlos und ehrlich ein bisschen nervend – sorry. Klar lesen die Angefressenen Gartenbücher, können stundenlang Bilder vom Prinzessinengarten in Berlin-Kreuzberg und Wirsigköpfe in Jutesäcken betrachten. Wie Katzen- und Hundefans fotografieren sie natürlich bei Sonne und Regen ihre Lieblinge, und man kann nur dankbar sein, dass die Familien-Dia-Bilderschau der Vergangenheit angehört. Über diese emsigen Leutchen kann man (nach meiner Mutter selig) nur sagen: „Si mache wenigschtens nüt Dümmers.“

(mehr …)

Lebenshilfe

Also, ich finde das tägliche Leben viel leichter als früher. Früher musste ich amigs überlegen, wie ich einen angefangenen Beutel verschliessen sollte – mit einem Gümmeli, einem Klämmerli, einem Drähtli oder sogar mit einem Schnürli? Als ich heute das Lödli mit den Sonnenblumenkernli aufmachte, war daran ein Kleberli geklebt mit einem Bildli drauf, wie ich 1. das Säckli aufrollen und 2. das Rölleli mit dem Kleberli verkleben soll. Nun kann nichts mehr passieren mit den Widerspenstigen. Sowohl Kärnli, als auch Schränkli bleiben sauber. Auch auf der schmalen Plastikhülle, in welche meine Strümpfe verpackt sind, steht, dass man sich dieses Säckli ja nicht über den Kopf ziehen soll. Ich habe allen, die mir lieb und teuer sind, das Plastiksäckli anprobiert. Zum Glück hats niemandem, nicht einmal dem kleinsten Kleinkrähchen gepasst, und ich darf weiterhin bei dieser Strumpfmarke bleiben. Als ich letzthin eine neue Duschmatte kaufte, las ich auf der Verpackung : „Bitte nach Gebrauch Seife auf beiden Seiten abspülen“. Das mache ich gerne, spüle nach jedem Duschgang die Matte oben und unten ab, beuge der Rutschgefahr vor. Zum Glück steht auf dem Zellophanhülleli, das eine Packung Bouillonwürfel zu einem nur schwer zu knackenden Gemüsetresor macht: „Verpackung zum Verzehr nicht geeignet“. Am Oleanderstöckli hing ein Schildli mit einem durchgestrichenen Apfel „on-eetbaar“. Ohne diese Info hätte ich das O-Bäumli doch glatt in die Suppe geschnetzelt. Dem Wetter-Mann im TV bin ich dankbar, wenn er mich spät nachts daran erinnert, dass von irgendwo her ein Sturmtief heranbrause und vorsichtshalber das Einrollen der Sonnenstore angesagt sei. „Dieses Produkt eignet sich nicht zum Rohessen.“ Nun koche ich die Bohnen immer und meide sämtliche rohen Bohnengerichte, zu welcher Tradition auch immer sie gehören mögen.

\"Salsa\" unter der Klauenfraese

Demonstrationskuh an der BEA 2012

„Leute in der Stadt und in der Agglomeration wissen ja kaum mehr, was eine Kuh ist und woher die Milch kommt“, meint Kari Litter, Geschäftsführer des Berner Fleckviehzuchtverbandes. Aus Dankbarkeit für den jährlichen Besuch des Fleckviehs und des noch übriggebliebenen Getiers bei uns in der Stadt mache ich mich auf, um wieder einmal zu sehen, ‚woher die Milch kommt‘. Vor Halle 672 herrscht aufgeregtes Gedränge. Auf einem Schragen festgegurtet liegt reglos eine Kuh, an Hinter- und Vorderbeinen gefesselt. Bauch und Euter sind gegen die Zuschauer gerichtet. An ihr wird gerade „Fünf Schritte für fachgerechte Klauenpflege“ demonstriert. Die Klauen werden gefräst und geschmirgelt, während ein Helfer der Kuh ein Auge zuhält.
Die Reaktionen im Publikum sind unterschiedlich. Es wird wie wild geknipst. Einige Frauen finden Klauenpflege nötig, aber doch nicht so ausgestellt in der Öffentlichkeit. Die Männer sind mehrheitlich fasziniert von der Arbeit mit der Fräse. Eine Gleichstellungstante aus dem Publikum verlangt energisch: „Fantast auf den Schragen, Fantast auf den Schragen!“ Aber keiner tut einen Wank, um den Tausendkilostier „Fantast“ aus dem Stroh zu holen. „Ha, das wagt ihr jetzt nicht, den auf den Schragen zu binden, ihr Angsthasen!“ Endlich zieht die Tante, sie hat genau meine Stimme, Richtung „Grünes Zentrum“ ab und Punkt 3 der absolut schmerzlosen Behandlung der Kuhklauen kann ungestört in Angriff genommen werden.

In diesem Jahr habe ich keine Fotos gemacht, obwohl es härzige gegeben hätte.

Menthe à l\'eau

Ein paar Tage im Süden verbringen, schauen, wie es ist, wenn nur wenig Touristen unterwegs sind und die weissen Pferde, wie mit Ariel gewaschen in der Frühlingssonne stehen, den Wind in den Mähnen. Flamingos äsen im Etang, darüber Möwengekrächze, auf dem Kanal die „Pescalune“ (Aussichtsboot) und vor dem Stadttor das doppelstöckige Karussel. Am weiten Strand den Drachen aus seiner Verpackung befreien und ihn immer höher steigen lassen. Sand aus den Schuhen schütteln. Die regionale Zeitung durchblättern und lesen, wo Marine ein Altersheim besucht oder magrebinische Kinder küsst und wie die Aficionados des Stierkampfs auf den 150. Geburtstag ihrer Arena anstossen
Unter den Bäumen blühen violette Iris. Elstern und Wiedehopfe schäkern in den Ästen und lassen ab und zu einen weissen Klacks auf die Schwerter der Lilien fallen.

(mehr …)

Inès El Iaboudy will eine Alltagsgeschichte erzählen aus ihrem Hochhaus in Bobigny, 18 Stöcke, in dem nun auch der dritte von drei Aufzügen ausfällt. Ausgebrannt. Die anderen zwei waren schon seit vielen Monaten ausser Dienst. Arbeitslose Jugendliche haben einen Trägerdienst eingerichtet, mit Zeitplan. Freiwillig. Sie tragen seither die Einkaufstaschen der älteren Frauen und die Kinderwagen der jüngeren in die höheren Stockwerke.

Eine hübsche Geschichte, weit ab vom Klischee.

Quelle ist ein sehr guter Artikel zum Thema Banlieue und Ghettoisierung aus unserer gestrigen Tageszeitung. Wer Französisch lesen mag, dem sei der Bondy Blog ans Herz gelegt.

Rain is over ...

Haggada schel Pesach, Tel Aviv : Haschomer Hazair, 1966.

Am Karfreitag war wieder grosses Eierfärben, dieses Jahr im Gemeinschaftsraum des Blocks, damit die Kinder par terre mehr Auslauf zum Spielen hatten als im 16. Stock. 28 Kleine und Grosse färbten 240 Eier. Die Völker verstanden sich ausgezeichnet, blieben lange, verputzten Zopf, Apfelkuchen, Linzertorte, Ostertaube, Käse, Butter, Honig, Früchte, Schokolade und probierten bereits die frisch gekochten Eier.
Heute gabs dann für die Kleinkrähen vergnügliches Warm-Kalt-Nestersuchen, dann Osterzmorge mit Eiertüschen und Kaffee aus dem vorsintflutlichen Glaskrug. Draussen kalte Regenschauer und feines Schneegestöber – Lesewetter.
Weil ich ein schmales Bändchen in abgegriffenem goldenem Umschlag aus der Bücherreihe ziehe und in diesem Jahr Pessach mit Ostern zusammenfällt, steht hier ein Bild der ersten Seite der Haggada* und nicht eins mit Ostereiern.

*Diese kurzen Zeilen beschreiben den Monat Aviv. Winter und Regen sind vorüber, die Erde ist bedeckt mit Blüten, die Zeit der Nachtigall bricht an, in unserem Land ist der Ruf der Turteltaube zu hören. Der Feigenbaum trägt grüne Feigen und an den Rebstöcken wachsen duftende Trauben. (ungefähr, sonst: Hohes Lied 2, 😎

(mehr …)

Hochhaus im April

Einmal hat sich ein Pfarrer bei mir beklagt, dass er nicht an seine Schäfchen herankomme. Nichts wisse er von ihnen, obwohl er doch schon so lange mit und unter ihnen sei. Er hätte sich hinter einen Gartenzaun stellen, ein bisschen in der Erde graben sollen und einfach nur warten, bis sie ihn anblökensprechen.
Die Lage meines Gartens, nicht weit von einer Tramhaltestelle entfernt an einem schmalen stark begangenen Quartierweg gelegen, wäre ideal gewesen für den verschmähten Hirten. Er hätte vernommen, dass das Hundchen von Frau Rütschi beinahe blind ist, von ihrem Sohn aber heiss geliebt wird, so dass der bald Vierzigjährige gar nicht von Mutter und Tierchen weg ziehen mag. Krankheiten von ganzen Generationen, schlimme und glimpflich abgelaufene, wären ihm im Detail geschildert worden, samt Therapien schulmedizinisch und homöopathisch. Lehrerversicherungskasse, Banken, frühere und heutige Finanzkrisen, Deutsche in unseren Krankenhäusern (sehr nett und mitfühlend), Wellnessbäder (Solbad Sigriswil noch besser als „Beatus“ Merligen), Ferien im Tirol wo Mann das Handörgeli mitbringen darf, alles (und mehr) hätte der Pfarrer unter freiem Himmer durch den Maschendraht erfahren. Auch Erziehungsprobleme und -fragen, Ehen, Freundschaften, glücklich oder traurig beendet, mühsame Nachbarn, Umzüge, Geburten, von schwer bis ganz „ring“, „gfitzte“ Enkel, erfolgreiche Kinder, Minarette ja oder nein, Meinungen zu Kriegen, Mord, Todschlag, Teppichboden, Platten oder Parkett hätten ihm ein Bild seiner Gemeinde gegeben. Aber nun ist er schon lange weg, der unglückliche Gottesmann, wurde in den Synodalrat (Bürojob) gewählt und alles, was er nie vernommen hat, weiss jetzt ich.

Nur zu gerne würde ich einmal eine Bombe – eine Malvenbombe natürlich – werfen, wie dieser Maurice Maggi.

(mehr …)

Ständig werden irgendwo Sicherheitsbestimmungen angepasst: in Kriegsländern, an Grenzen, in Banken, Schulhäusern, Regierungsgebäuden, im Internet. Nun bleiben auch wir hier im Westen von Bern nicht davon verschont, Sicherheitsbestimmungen anzupassen, denn es wurde ein „immenser Schaden“ angerichtet. Ein Dieb, so ein Tummer, hat im Quartierzentrum 700 SBB-Tageskarten gestohlen („Der Bund“ hat berichtet am 27.03.2012). Diese 700 Billette für die Schweizerische Bundesbahn waren in einem Ordner aufbewahrt, den ein Mitarbeiter auf dem Schreibtisch „leicht zugänglich“ liegen liess – und weg waren Ordner (Wert Fr. 34 000) und Dieb. Weil Quartierzentren immer sparen müssen, ist der Verlust der Karten bitter. Ab jetzt, ihr Schelme, werdet ihr es schwerer haben, Ordner zu stehlen, denn „einstweilen hat man die Sicherheitsbestimmungen angepasst“! (Von „angepasst“ kann nicht die Rede sein, denn es gab ja vorher keine, und „einstweilen“ bedeutet ja wohl, dass sie auch wieder aufgehoben werden können). Wo der Ordner nun wäre, falls …? „Permanent in einem Tresor gelagert“. Das sei für die Mitarbeiter „aufwendiger und zeitraubend, aber wenigstens sicher“, meint der Co-Leiter des Quartierzentrums. Wie bei dieser permanenten Lagerung die Tageskarten dann aus dem Ordner genommen werden, ist nicht bekannt.
Zu hoffen ist, dass der Täter nun seine Beute geniesst und das ganze 2012 jeden Tag mit seiner Grossfamilie (15 Pers.) im Zug durchs schöne Schweizerland reist.

Kleinesmaedchen-Bibliothek

Als ich mich heute Mittag an meinen Schreibtisch setzte, fand ich darunter diese Minibibliothek, eingerichtet und saisongerecht
mit Osterhasen dekoriert von Kleinesmädchen. Ein passendes Erinnerungsbild für den heutigen Abstimmungssonntag.

Frauentag 2012

36 Männer …

Maennertag 2012

… 9 Frauen!

Männer und Frauen geschnipselt und sortiert aus „Der Bund“ von heute.

Fasnacht 2012

(Posting im Auftrag von 2nd2nd, male. Wunderbar!)

Tunken Sie einen angebissenen Gemüsestängel immer wieder in die Sauce, bis er ratzebutzi verspeist ist? Langen Sie mit den Fingern, statt mit dem Löffel ins Nüsslischälchen? Haben Sie sogar die Angewohnheit, in eine Scheibe Brot zu beissen? Oi, oi oi – kleine Stückchen davon abbrechen!
Mit dem Glas sollte bitte nur andeutungsweise angestossen werden, und die Serviette wird links …
Wie können sich Gesellschaftsschichten wieder besser von einander unterscheiden, nachdem Kretis und Pletis Markenkleider tragen, sich auf Golfplätzen breit machen und sogar eine Beleuchtung fürs Klobürstli besitzen? Eine Möglichkeit:
Man schicke seine Kinder in ein Knigge-Seminar, wo sie u.a. Spaghetti ohne Löffel aufröllelen und aus dem Stielglas trinken lernen. Vielleicht wird die Trainerin noch die Geschichte von den beiden übrig gebliebenen Bewerbern für einen Top-Job erzählen, mit denen man essen ging. Sie errraten es: der Messerabschlecker kam über die Vorspeise nicht hinaus – ätsch. Alles kann das beste Seminar nicht übernehmen, denn

Die Eltern haben das Finale in, wie ihre Kinder aufgezogen, so Grosseltern müssen flexibel sein, wenn es um Regeln und Konsequenzen zu sagen.mehr

Ich persönlich bin froh, dass an meinem Tisch sämtliche Essmäntel durch Servietten ersetzt werden konnten.

Nun haben die letzten Mitglieder der Blogk-Familie das Quartier am westlichen Rand der Stadt verlassen.
Vierzig Jahre waren die drei Blöcke mit viel Béton brut nach Le Corbusier unser Zuhause. Meine Töchter und ich liebten die grosse, helle Wohnung auf dem Dach, verbrachten unzählige Sommertage auf dem Balkon, beobachteten Sonnenuntergänge, Feuerwerke, Regenbogen und Gewitter, stellten uns vor, wir stünden auf dem Deck eines Schiffes, wenn uns der Wind um die Ohren blies. Wir gärtnerten, zeichneten Blöcke, liessen Ostereier und Weihnachtguezli abkühlen.
Unser Haus war offen für Gäste aus nah und fern, besonders auch für die Kinder aus dem Quartier, für Pflegekinder (auch von nah und fern). Wir integrierten und wurden integriert, gaben Nachhilfestunden, lernten nette Nachbarinnen und Nachbarn und oft auch ihre Lebensgeschichten und das Essen aus anderen Ländern kennen. Wir lasen uns durch die Quartierbibliothek, töpferten im Keramikatelier, zogen in der Weihnachtszeit Kerzen und bastelten Laternen. Zusammen mit anderen Müttern und deren Kindern wanderten wir bei jedem Wetter dem nahen Bach entlang durch den Wald, liessen Schiffchen treiben, machten Feuer und verputzten Würste mit Kartoffel- und Bohnensalat.
Eine „gute Adresse“ war es nie, zu viele Ausländer, zu viele gewöhnliche Arbeiter. Regelmässig wurde das Quartier in den Medien schlecht gemacht, und immer wieder bekamen wir zu hören: „Ich könnte nie hier leben.“ Auch von „Küngeliställen“ und „Schlaf-Stadt“ war die Rede. Wollten Lehrer und Lehrerinnen jeder Stufe eine besonders nicht erstrebenswerte Wohnform zeigen, machten sie mit ihren Klassen einen Ausflug zu uns. Einige Jahre lang versuchten wir Beobachteten, diese Gäste eines andern zu belehren, erfolglos. (Der einzige aus meiner Bekanntschaft, der es wagte, in diese verrufene Ecke von Berns Westen zu ziehen, war mein Schwiegersohn 2nd, male, der seine Kindheit in einem EFH in der Agglomeration verbracht hatte.)

(mehr …)

« Vorherige SeiteNächste Seite »