Do 11 Dez 2008
Im April 1990, als ich zehn Jahre alt war, wurde mein kleiner Bruder geboren. Wir sind zwei Monate danach mit dem Bus in die Schweiz gekommen, es war ein Alptraum mit dem Baby, er schrie über 24 Stunden. Die Serben hatten damals aus Flugzeugen und Autos ein Gas gesprüht, welches ihnen von den Russen geliefert worden war. Wir sind eingentlich vor den Serben geflüchtet. Die Kosovoalbaner hatten die Schulen geschlossen, weil die Serben drohten, die Kinder anzugreifen. Es wurde nur noch in Wohnungen unterrichtet. Mein Onkel war Politiker und wir waren als Verwandte von ihm in Gefahr.
Ich erinnere mich an die Ankunft in der Schweiz sehr gut. Im November sind ich und meine Schwester zum ersten Mal allein in die Stadt gegangen, an den „Zibelemärit“. Wir fanden die Festtage in der Schweiz toll, denn Kinder bekommen hier immer ein paar Sachen gratis, jedenfalls im Tscharnergut. Im Frühling war jeweils ein Marathon-Lauf, an welchem man sogar Pfeifen und „Tschäpple“ umsonst bekommen hat. Und vor dem Block auf dem Parkplatz hat es immer ein Tennis-Tournier gegeben, das von Coop organisiert worden ist. Jeder Teilnehmer hat einen Sack mit Esswaren und Schleckzeug bekommen, wer weiterkam, Gutscheine. Das war für uns sehr wertvoll, wir haben alle Sportarten und Spiele viel geübt, damit wir immer etwas gewinnen konnten.
Das hat allerdings 1994 alles aufgehört, seit dem bekommt man nichts mehr gratis. Damals kamen so viele Einwanderer aus dem Balkan, dass Coop und die Bäckereien nichts mehr an solche gaben, die nichts kaufen konnten.
Mit zwölf Jahren, 1992, begann ich im Restaurant Tscharnergut zu arbeiten. Ich bin dem Chef dankbar, dass er mich angestellt hat. Für Fr. 5.—in der Stunden, in den Ferien. Ich habe beim Abwasch geholfen und bei dem Desserts und auch zu „Cash and Carry“ hat er mich zum Einkauf mitgenommen und ich habe die Tische geputzt, auch von unten (Kaugummis). Ich war sehr dünn und hatte zum ersten Mal richtig zu Essen, immer Pommes-Frites, Rindfleischhamburger und Cola. Wunderbar! Mit dem Geld konnte ich mir endlich Kleider kaufen, die nicht vom Brockenhaus waren. Daneben habe ich noch Hauslieferungen für die Apotheke im Tascharnergut gemacht. Ich glaube, ich habe den Job verloren, weil der Lehrling das übernommen hat, auch in einer anderen Apotheke habe ich das gemacht. Von dem verdienten Geld habe ich die Landschulwoche bezahlt. Meinem Freund A. konnte ich so auch einmal einen Landschulwoche bezahlen, in die er sonst nicht hätte mitfahren können. Wir sind enge Freunde seit 1992 bis heute.
Ich habe immer unverschlossene Velos benutzt, meistens alte Damenvelos, auf denen ich gut üben konnte, allerdings nur im Stehen, für den Sattel war ich zu klein. 1993 hat mir mein Vater im Jumbo Schönbühl mein erstes eigenes Velo gekauft, aber leider hat es nur sehr kurze Zeit gehalten und ich musste mir wieder andere Velos beschaffen. Ich fuhr damit in jeden Winkel des Quartiers und kannte so alles immer besser.
Dann habe ich eine Clique gegründet, mit anderen Albanern und einem Türken. Ich war der Anführer und wir haben gemacht, was wir wollten, wir wollten alle nicht abhängig von unseren Eltern sein, sie haben uns nichts anbieten können, die Väter haben wir kaum gesehen, die Mütter hatten keine Ahnung von unserem Leben.
Ca. 1994 habe ich in das Restaurant „Sternen“ gewechselt, da war ich ca. 14 Jahre alt. Aber der Wirt hat mir als Lohn nur eine Kopie von einer Fünfzigernote für die Arbeit für einen ganzen Sommer gegeben. Da bin ich gegangen und habe keine Arbeit mehr gehabt. Da haben wir ab und zu geklaut: Haargel, Deo aber auch Kleider und Schuhe, die ich einfach probiert habe und dann damit rausgelaufen bin.
1996 habe ich jeden Samstag im Shoppyland in Schönbühl gearbeitet. Ich habe die Paletten und leeren Kisten sortiert. Mit einem Handstapler habe ich sie gestapelt und dann mit Klebeband aneinander befestigt, damit sie gereinigt werden konnten. Ich habe damals mit Hilfe meiner Schwester bei der BKB ein eigenes Konto aufgemacht, die Eltern haben mir nichts mehr bezahlt ausser das Materialgeld fürs Werkjahr. Denn damals habe ich unter der Woche das 10. Schuljahr gemacht.
Ab 1997 Schreiner-Anlehre in Gümenen. Ich habe dort das Holz kennen gelernt, den Umgang mit den Maschinen. Wir waren auch viel im Wald und mussten gefällte Bäume vermessen und für den Export nach Italien bereit machen. Ich schrieb auf, um welche Sorte es sich handelt, aus welchem Wald sie stammen und habe sie nummeriert. Der Chef war ein Rassist und ein Arschloch, aber er hat natürlich mit dieser Anlehre verhindert, dass ich auf der Strasse gelandet bin.
Gleichzeitig habe ich samstags von 7.00 bis 16.00 Uhr in der EMMI-Fabrik in Kirchberg gearbeitet. Ich habe die Käsemaschinenanlage auseinandermontiert und hygienisch geputzt und danach wieder zusammengesetzt. Danach ging ich nach Hause und habe ein paar wenige Stunden geschlafen. Gegen 21.00 bin ich nach Thun in die Disco „Nachtwerk“. Ich hatte dort einen Job in der Garderobe. So ab 4.00 Uhr schloss die Disco und ich räumte die Flaschen weg. Danach bin ich nach Hause und konnte am Sonntag ein wenig ausruhen. Am Montag musste ich wieder kurz nach 6.00 Uhr los in die Schreinerei. Während der Ferien habe ich einmal noch eine Bank geputzt, vis-à-vis vom Bundeshaus.
Im Sommer gingen wir immer in den Kosovo. Aber während der Lehre war das ein Problem, weil mir der Chef nie Sommerferien genehmigt hat, weil wir über Weihnachten zwei Wochen Betriebsferien hatten. So ist es geblieben. Seit meiner Jugend habe ich nie irgendwo an einer Arbeitsstelle Sommerferien bekommen. Heute – 2007 – ist das erste Mal.
Dezember 12th, 2008 at 09:52
Als Lohn für einen Sommer Arbeit die Kopie einer Fünfzigernote! Schändlicher gehts nicht mehr.
Dezember 12th, 2008 at 12:26
Für mich ist das Schlimmste, dass ein Jugendlicher in der Schweiz neben der Lehre zwei Freizeitjobs haben konnte. Es ist an den Erwachsenen, dem Gesetz genüge zu tun und so etwas zu verhindern, aber dazu waren weder Eltern noch Schule noch Ämter in der Lage. Der Fall von 2nd2nd, male ist exemplarisch für die mangelde Integrationsarbeit in der Schweiz.
Heute bezahlt der ehemalige Jugedliche samt Familie den Preis. Die Anlehre hätte zur Lehre, die Lehre – bei der Begabung meines Schwagers – zu einer Meisterlehre führen müssen.
Kein Abschluss ohne Anschluss.
Während der Lehre Unterstützung und Ausbildung, NIE Erwerbstätigkeit.
Deswegen ist es auch seit Gezeiten gesetzlich verboten, Lehrlingen Überzeit auszuzahlen. Doch wo kein Richter… Und ohne politischen Willen sind die schönen Sätze Makulatur. Heute müssen Generationen die Ausbildung teuer nachholen oder sich als Working Poor abrackern.
Aber immerhin hat die Schweiz etwas daraus gelernt, die Gesetze angepasst, Beratungsstellen und Übergangsbetreuungsangebote geschaffen. (Und gerade diese kämpfen ganz im Gegensatz zur UBS um jeden Rappen, selbst wenn sie ihre Wirksamkeit statistisch belegen können.)
Dezember 12th, 2008 at 17:45
Hut ab vor eurem Hausmeister und Schwager, dieser Einsatz will was heissen und bedeutet eine Menge Disziplin und Wille. Nicht selbstverständlich, wenn man keine Unterstützung von daheim hat. Ich kann es ein wenig nachvollziehen: Da mein (Bildungs)Weg nicht der Vorstellung meiner Eltern entsprach, hab ich auch immer gearbeitet, um meine Ausbildungen zu bezahlen – das bedeutete, nach Unterrichtsende im Lehrerseminar dreimal wöchentlich an den Kiosk stehen und am Wochenende den ganzen Samstag oder Sonntag. Eine lange Zeit geht das gut, aber irgendwann rächt sich die dauernde Überlastung.. Leider verhäbt auch das Stipendiensystem in diesem Land nicht wirklich…