Im Bildungskonzept für Berner Schulen lese ich, dass die Kinder aus Familien mit Büchergestellen die besseren Bildungschancen haben.
Das Kind I. hat Zugang zu ca. 200 Laufmetern Bücher im privaten Bereich, öffentliche Bibliotheken werden von ihm rege benutzt. Auch seine Eltern verhalten sich konzeptkonform: Sie zügeln nicht weg, so wie’s die Bildungsdirektorin in der Zeitung empfohlen hat, sind mit der Integrationsbeauftragten der Stadt einer Meinung, dass das Wohnen in einem „Ausländerquartier“ fürs Leben schult, beteiligen sich an der Quartierarbeit, haben ein offenes Haus und Ohr. Das Kind hat die besten Vorbilder in Sachen Toleranz und Respekt, denn es ist die 4. Generation einer Familie, die sich das friedliche Zusammenleben auf ihre Fahne geschrieben hat. Wer jetzt denkt: welch glückliches Kind, irrt sich. Seit Monaten wird es von einigen Mitschülern in der Garderobe mit nassen Tüchern geschlagen, gewürgt, bespuckt, zu Boden geworfen und getreten, beschimpft und mit „I bringe di um“ ständig bedroht, seine Kleider und Schulsachen werden in den Abfall geworfen. Als es am Dreikönigstag König wurde, setzte dies besonders gemeine Prügel ab. Der Schulweg ist ein Leidensweg. Gespräche mit den Schülern brachten nur noch mehr Gewalt. Die Lehrerin findet, die Eltern mischten sich zu sehr ein, das Kind provoziere mit seinen „Fremdwörtern“.
I. , bald 10 Jahre alt, versucht Aufsätze zu schreiben, die dem Niveau der Klasse entsprechen, nimmt beim Bibliotheksbesuch mit der Klasse Kinderbücher. Er müsse sie nicht lesen, meint die Lehrerin, die weiss, dass das Kind schon weiter ist. Nur nicht auffallen! Soll das Kind seine Gitarren- und Flamencostunden aufgeben und stattdessen einen Kampfsport trainieren? Das möchte die Lehrerin auf keinen Fall! Auch der Kickboxtrainer aus dem Bekanntenkreis rät davon ab. Nun ist das Kind ein „Fall“ geworden, der die zum neuen Bildungskonzept gehörende Sozialarbeiterin beschäftigt.
Wir fassen jeden Tag den Mut, die Kinder und ihre Eltern nicht zu hassen, uns ihnen zu zuwenden, sie zu beachten und uns unter ihnen zu Hause zu fühlen.