Als ich noch jung war, hasste ich besonders Einladungen zu Hochzeiten. Damit entfachte ich manch heftigen Familienstreit, denn ich galt als lustig, ja sogar als witzig und – ehrlich gesagt – niemand konnte Hochzeitsgedichte in Berndeutsch unterhaltsamer vortragen. Die Verse verfassten Bertha, die Frau des Dorfkäsers oder ein anderer Auftragsschreiber aus dem Bekanntenkreis. Was sie nicht ohnehin schon über die Paare und ihre Familien wussten, notierte man in Stichworten auf einem Zettel. Und pünktlich zu den jeweiligen Hochzeiten war das passende Gedicht fertig.

Die folgende Auswahl aus 19 Strophen für das Brautpaar Rosa (Arztgehilfin) und Fritz (Bauer) soll den Leserinnen und Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten werden:

So, liebi Gäscht vo Tisch zu Tisch,
Mir fiire üses Päärli.
Gäll, Röseli, der Fritzli isch
E flotte, liebe Kärli.

Dr Fritzli het vo chly uf glehrt
Was Wärche heisst, bym Tuusig!
Er het si hantli gschtreckt u gchehrt
Mit Schneid u nid so luusig.

E Arztgehilfin füehrt er hei,
E Flotti, gwüss, i wette.
Si isch mit ihm so frank u frei
Go hälfe Mischt verzette.

Verwöhnt isch üse Fritzli worde
Vo sine Schweschtere, potz Blitz!
Me bchönnt doch süscht a vilnen Orte
So under Gschwüschterte meh Chritz.

Jä nu, die Meitschi hei mit Grund
Em Bruederbössli borget.
Är het bim Schwinge mängi Stund
Für d’Überraschig gsorget.

Gäng erschti Räng, was wottsch no meh:
D’Pendule und es Trögli.
So schöni Priise lo sech gseh,
Da stuunet mänge Frögli.

Längwylig wärde sie’s nid ha.
E liebe Vogel chlopfet a.
Dä, wo ne Frou is Beinli pickt
U druuf es härzigs Göfli schickt.

(ca. 1972/73)

Wenn ich dann streikte und mich weigerte, an einem so wichtigen Familienfest teilzunehmen, ärgerte sich meine Mutter masslos, denn sie hatte meist schon allen versprochen, dass ich dabei sein würde.
Oft platzierte man mich bei Hochzeitsessen in einem „Hirschen“, „Rössli“, „Bären“ oder „Jäger“ zwischen zwei mühsame Verwandte. Ich versuchte dann das Beste daraus zu machen. Die Verschmähten waren immer zufrieden und viel besser, als ihr Ruf. Selbstverständlich erheiterte ich die Gesellschaft dann auch mit einem (siehe oben) Gedicht. Einmal erwartete man von mir, dass ich die Gäste beim Apéro mit „Müsterchen“ aus meiner Zeit in Israel unterhalte. Als ich stumm blieb, hätte man mich am liebsten rausgeworfen. Am grässlichsten fand ich jeweils die Hochzeitsspiele, bei welchen die Frauen z. B. mit verbundenen Augen eine Reihe nackter Männerwaden den Besitzern zuordnen sollten, was noch längst nicht die peinlichste Unterhaltung war.

Zum Glück sind diese Zeiten vorbei und ich darf auf zahlreiche gelungene Feiern und Feste zurückblicken, an welchen ich, wenn überhaupt, nur Eigenes vortrug. Hochzeiten in meinem Familien- und Bekanntenkreis sind selten geworden. Im Moment sind alle verheiratet, die es sein möchten.
Bei Einladungen mit Tischkarten und fremden Leuten stosse ich immer auf „Angefressene“, die von etwas besonders viel wissen und mit Begeisterung darüber erzählen. Was gibt es Interessanteres als:

die Entwicklung industrieller Förderbänder, Kaffeerahmproduktion,
Meteoritenforschung im Saudiarabien, Strassenverbreiterung in Laupen,
Rosenkohlpflege (Enthaupten nur in kalten Wintern!) in Zollikofen,
Gemeindegrenze durch Thörishaus, welche den Eintrittspreis ins Schwimmbad massiv beeinflusst,
das Segelfliegerbauen und Segelfliegen, das Zelten im Oman als Frau,
das Leben als Schweizer Professorengattin, Hausfrau und Mutter in Houston, Texas im Sommer,
die Gegner der V-Bahn in Grindelwald, unter Druck gesetzt von den Befürwortern (wir kaufen nichts mehr in deiner Metzg, nehmen einen auswärtigen Schreiner …),
die Beobachtung der Sperbergrasmücke auf Svínoy, „Königin“ Silvia, die im Dienstwagen ihres Bundesratsgatten auf Kosten des
Steuerzahlers von einem Staatsangestellten zu ihren Vorträgen chauffiert wird
und wie der Beamte (er sitzt neben mir), welcher diese Regelwidrigkeit meldete, beinahe entlassen wurde …??