Endlich habe ich mich getraut, meine ehemalige Schülerin nach ihren beiden Kindern zu fragen. Warum ich mich Jahre zurück gehalten und von weitem so getan habe, als ob alles normal und in Ordnung wäre, weiss ich nicht.
Nun habe ich Aliva einmal ohne ihren Mann getroffen und die seltene Gelegenheit benutzt, um mich nach ihren Söhnen zu erkundigen, die vor acht Jahren von ihrem Vater entführt wurden. Auch wollte ich wissen, wie es eine Mutter aushält, so lange von den Kindern getrennt zu sein?
Es gehe den beiden gut im Nahen Osten. Sie besuchten in der Hauptstadt des Landes eine katholisch-französische Schule zusammen mit Diplomatenkindern. Das koste im Vergleich zu schweizerischen Privatschulen fast nichts. Sie habe hart gearbeitet, um ein Haus in einem besseren Quartier zu kaufen, damit die Buben zusammen mit Tanten und Grosseltern aus der Zweizimmerwohnung ausziehnen konnten. Im vergangenen Oktober habe sie einen Besuch gemacht, Kleider und Schulmaterial gebracht. Ihr Arabisch sei inzwischen viel besser geworden. Im Gegensatz zum Jüngeren verstehe der Ältere noch Schweizerdeutsch und vermisse die Mutter sehr. Der Kleine leide weniger. Er sei mit Markenartikeln aus der Schweiz zu trösten, gebe damit in der Schule an und lasse sich von der ganzen Verwandtschaft verwöhnen. Sie, Aliva, versuche, das Beste aus der Sache zu machen, beginne bald mit einer Zusatzausbildung. Lernen und Arbeiten sei das, was sie durch die Tage bringe.
Heute lebe sie wieder mit dem Mann zusammen, der vor acht Jahren ihre Kinder entführte. Er besitze nun die nötigen Papiere, um in der Schweiz zu bleiben und sie habe alles einigermassen unter Kontrolle.