Heimfrass

Fräulein Sophie, Küchenzarin, Herrin über Speisekammern und viele kleine Helferlein. Hier mit Salatkorb, Gschwellti-Zaine und Gnagi-Platte. (Alle Fotos: H.P. Hoffmann, ca. 1964)

Foto: Paul Senn, ca. 1940, aus dem Blechteller essen

Wenn wieder einmal jemand nicht Schuld sein will, erinnere ich mich an meine Zeit als junge Heimerzieherin (!) in einem Bernischen Knabenerziehungsheim anfangs der 60er Jahre. Oberster Herr war der „Vater“, stets untertänigst umwuselt von einer ahnungslosen „Mutter“. In ihrer Führungsarbeit wurden die beiden von langjährigen treuen Mitarberinnen, alles alte „Fräulein“ und Meisterinnen im Ausdenken von perfiden Strafen, unterstützt. Junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten neben ihnen einen schweren Stand, ausser man wurde selber „schwererziehbar“, dann liessen sie einen widerwillig in Ruhe.
Ab und zu gab es einen Lehrer in der Heimschule, der sich dafür einsetzte, dass die Buben gerne lernten und auch Spass dabei haben durften. Der Unterricht war das Leichteste im Leben eines Heimkindes, gab es doch jeden Tag die Arbeitsverteilung, die Jüngeren und Schwächlichen zu Hausarbeiten in Garten, Küche und Waschküche, die Älteren zur Arbeit in den Ställen und auf dem Feld.
Nie erhielten die Buben Besuch. Es war noch die Zeit, als man dachte, sie würden im Heim bessere Menschen ohne Kontakt zu Eltern und Verwandten.
Es fiel mir schwer, das Knabenheim für einen Auslandaufenthalt zu verlassen. Ich habe keine Ahnung, was aus diesen Jungen geworden ist.

Nur einmal in einem Winter vor vielen Jahren, als ich in einer Buchhandlung arbeitete, betrat ein seltsamer Vogel den Laden und setzte sich neben den warmen Ofen. Aus wässerig blauen Augen sah er mich an und lächelte, als würde er mich kennen. Er war barfuss, die Hosenröhren hatte er mit braunem Band an die Beine geklebt. Auch um seine blonden Haare hatte er Klebeband gewickelt. Es sah aus wie eine Dornenkrone. Nach einer Weile stand er wortlos auf, lächelte, hob seinen Papierbecher zum Gruss und ging von dannen.
Ich bin sicher, dass es Christian gewesen ist, der Junge auf dem letzten Foto.

Schule 1
Schule 2
Schule 3
Schule 4
Schule 5
Pause
Null Fehler!
Christian