In Indien hatten wir einige Zeit unseren persönlichen Bettler. Er liess sich im Schatten des „Deux Chevaux'“ nieder, rückte sein Bakelit-Bettelbein zurecht, damit es erbärmlich unter dem ebensolchen Dhoti hervor lugte. In diesem rosa Bein befand sich etwas unter dem Knie ein Schlitz. Damit erwies der Bettler den Menschen die Gnade, jeden Tag eine Münze einwerfen zu dürfen und so leicht zu einer guten Tat zu kommen. Die Rupie kullerte dann hinunter bis in die Tiefe des Fusses, und wir bekamen als Dank ein strahlendes Lächeln. Der Mann gehörte nicht zu den Missgestalteten und Leprösen, sondern schien, abgesehen von seinem Bein, einem Bollywood-Film entsprungen zu sein. Sein Englisch war beachtlich, und wenn es uns eine Freude machen wollte, sagte er „Chuchichäschtli“. (Das Wort hatte er nicht von uns.)
Reisten wir z.B. von Dharamsala nach Simla, war er bald auch in Simla.
Zum Dussera-Fest tauchte er in Manali auf. Diesmal hatte er das Balkelit-Bein nicht dabei. Er trug flotte Levis, stand auf zwei geraden langen Beinen, schwenkte die Hüfte zur Blechmusik und zwinkerte mir über die Schulter zu: eben ein grossartiger Bollywoodstar, der sein Metier durch und durch beherrschte.
Die Bettler am Bahnhof sind da nicht so einfallsreich:
Hesch mer e Stutz (1 Fr.) für uf e Böss,
uf ds Poschtouto,
e chli Münz (Kleingeld) für d’Notschlafstell,
für ds Frässe für e Hung,
für e chly Suppe,
für zum Tokter? – fantasielos eigentlich. Manchmal gebe ich etwas, ein Schoggostengeli, ein Weggli, selten Geld. Manchmal sage ich auch genervt: „Eben wollte ich dich um etwas Münz bitten.“
Als ich gestern nach Hause kam, stand vor meinem Eingang eine fremde Frau. Sie sagte zu meiner Nachbarin: „Darf ich Sie dringend um etwas bitten? Es ist zwar blöd und ich traue mich nicht recht. Würden Sie mir eine Rolle WC-Papier schenken?“ Die Frau zog zufrieden mit der Klorolle ab. Meine Nachbarin sagte: „Hoffentlich macht sie nicht irgendwo hin.“ Ich antwortete: „Das ist doch egal, es ist ja schon so dreckig.“