Mutter ist kein bisschen dankbar, dass man sie pflegt. Sie schimpft und trotzt, lässt sich nicht waschen, nicht kämmen, verweigert Essen und Trinken. Die Spitex-Frauen verlassen das Haus meist frustriert und rein verrichteter Dinge – aber nicht ohne ein freundliches Wort von Vater.
Letzte Nacht hat meine Schwester Rosy bei der Zornigen gewacht. Sie ist eine erfahrene Altersbetreuerin, lässt sich nicht leicht aus der Fassung bringen und nimmt starrsinnige Menschen als kreative Herausforderung.

Folgendes SMS habe ich um 01:32 von der Nachtwächterin erhalten:

Es geht gut
Müeti ist friedlich
gesungen
getrunken
gesalbt
gelacht
gebiselt
geflucht
gedankt
gekämmt
Vielleicht kommt jetzt der Schlaf.

Aber nein, während es draussen in eine dunkle Nacht schneit, sagt Mutter ein Frühlingsgedicht auf, das sie in der zweiten Klasse gelernt hat:

„D’Amsle uf em düre Ascht
het kei Rueh me u kei Rascht
Eismal isch se-re um ds Singe:
„Cha-n-is äch no füre bringe?

Liisli, liisli faht si a,
Zerscht e Ton – es Schlänggerli dra.
Z’letscht, da gits e ganze Satz
u itz blibt si nümm am Platz.

Flügt mit ihrem junge Gsang
z’oberscht uf e-n-e Wättertann‘.
Rüefts am Himel und de Bärge:
„Loset, es wott Früehlig wärde.“