Es war einmal
(Foto: Teze Gaya)

Trotz den modernen Errungenschaften, welche Papier überflüssig machen, stapeln sich auf meinem Tisch, in Mäppchen oder mit bunten Klammern zusammengehalten, die Blätter und Fötzel. Ab und zu mache ich Ordnung so wie heute, denn irgendwie habe ich auch immer mein Ableben vor Augen.

Vor mir liegen einige Seiten aus dem „Bund“ vom 11. Mai. Es geht um die Quote für Schweizer Schüler, d. h. darum, wie Schulklassen so gemischt werden können, dass mindestens 30 % der Schülerinnen und Schüler deutschsprachig sind und die selbe Fremdsprache nicht von über 30 % gesprochen wird. Was in Basel gerade mehr oder weniger hitzig diskutiert wird, ist in Bern zum grossen Glück weder „Thema“ noch „Problem“, sondern laut der Leiterin des städtischen Schulamtes Frau Hänsenberger bloss eine „grosse Herausforderung“.
Da die Schulen in meinem Quartier die am höchsten belasteten, also die absolut schlechtesten der Stadt sind – Entschuldigung Frau Hänsenberger – habe ich ein Problem, das mir schwer auf dem Magen liegt.
Bald müssen meine Enkelkinder eines dieser „Heissen Schulhäuser“ (Patrick Feuz, Bund 11.05.13) besuchen. Ausser einer Privatschule oder einem Umzug in ein anderes Quartier gibt es null Ausweichmöglichkeiten:

«Wir arbeiten nach dem Prinzip der kurzen Wege», sagt Frau Hänsenberger. «Die Kinder sollen dort zur Schule gehen, wo sie wohnen. Und das Umfeld in der Schule soll dasselbe sein wie in der Freizeit.»

So ist wenigstens von Amtes her dafür gesorgt, dass die Bern-West-Kinder unter sich bleiben und möglichst keine Anregung von aussen erhalten. Unterdessen wird hauptsächlich mit dem Sozialindex gewerkelt, d.h. werden Lektionen für besondere Massnahmen und Sozialarbeit errechnet, was im besten Falle mehr als nichts ist. Da jedes Jahr zahlreiche neue Kinder ohne oder mit nur mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen eingeschult werden, darf die soziale Durchmischung, vorgeschrieben im städtischen Schulreglement, bis zum Sankt Nimmerleinstag „angestrebt“ werden.


Wer bis hier her lesen mochte, wird mir vielleicht vorwerfen, ich dächte nur an die Karrierechancen meiner eigenen Kinder. Wer blogk von anfang an gelesen hat, weiss, dass meine Familie schwer dafür bezahlt hat, als wir 3rd, male die Quartierschule besuchen liessen.
Mir wird übel bei der Erinnerung an die Demütigungen und Drohungen, welche sowohl das Kind als auch die Eltern durch Mitschüler, Lehrerschaft, Schulkommission erleben mussten und daran, wie die Täter in der Schule bleiben durften und das gemobbte Kind „eine Schule in der Stadt“ auslesen durfte, in welche man es abschieben konnte.
Übel wird mir, wenn ich daran denke, wie schlecht Schweizer Eltern in eben diesen belasteten Schulkreisen oft behandelt werden, abgestempelt als Egoisten, nur auf das Wohl und die Karriere ihrer eigenen Kinder bedacht. Eine Schulkommission kann solche Eltern, die sich nicht alles gefallen lassen, strafen, indem ihr Kind z.B. keinen Platz in der Basisstufe bekommt. Mir ist kein Mobbing- oder Missbrauchsfall bekannt, wo das Opfer bleiben durfte und die Täter die Schule verlassen/wechseln mussten.

Als Journalist (welche „heisse“ Schule besucht sein Kind?) ist es einfach zu schreiben, dass auch wohlsituierte Schweizer Eltern helfen können, die Situation in den Problemschulhäusern zu verbessern:

„… indem sie im Quartier wohnen bleiben, wenn das eigene Kind in die Schule kommt und dort neben Kindern aus Kosovo, Sri Lanka oder Algerien sitzt. Bessere Bildungschancen für Ausländer zu fordern ist billig, solange man nur an die Karrierechancen des eigenen Kindes denkt, wenn es konkret wird.“ (Patrick Feuz, Bund 11.05.13)

Bis jetzt sind wir – weil nicht soo wohlsituiert und mit Arbeitsplatz im Quartier – geblieben, helfen bei Aufgaben und Prüfungsvorbereitungen (kosovarischer Schüler hat Aufnahme in die Ecole Supérieure de Commerce bestanden), machen Kindergeburifest für alle, lassen uns mit dem Tod bedrohen, schauen zum Spielplatz (kein Katzendreck im Sandkasten), weibeln fürs Quartier in der Partei, begleiten Alte zum Arzt und fahren Hochschwangere in die Klinik, machen ab und zu eine Anzeige, möbeln Quartiertreff und Schulgarten auf, lassen uns wegen mangelnder Unterwürfigkeit von der Schulkommission strafen und gegebenenfalls von Psycho- und Physiotherapeuten behandeln.

Ist das nicht zuviel der Ghetto-Romantik??

Ganz am Anfang

Hoffentlich ist ihr Weg nicht mit zu vielen Prinzipien gepflastert.