Aus den Reisenotizen vom 30. Juli 2014:

Vor drei Wochen hat ihn der Stier an der Wange erwischt, vorher bohrte sich das nadelspitze Horn auch schon mehrmals in Oberschenkel, Waden und hintere Backen. Letzthin ist er vom Pferd gestürzt, denn ein Manadier lebt sehr, sehr gefährlich.

Um etwas von diesem unbekannten, wilden Leben in einem wilden Landstrich zu erfahren, steigen wir heute in den Safari-Jeep mit Eric am Steuer.

Safarijeep

Unter den Sitzen liegen Büschel von getrockneten Kräutern.
Wahrscheinlich brauchen Erics schwarze Kühe davon ab und zu einen „Trauch“ (Trank) gegen den Ärger, immer wieder an diesem einfältigen Toro piscine mitmachen zu müssen. Eric schiebt seinen Filzhut lässig aus der Stirn, hält kurz bei den äsenden Flamingos im Etang, gibt flott Gas Richtung Aigues-Mortes. Wir klammern uns an die Verdeckbügel des Geländewagens, holpern bald in hohem Tempo durch den Tour Carbonnière, um dann mit scharfem Stop zwischen Feigenbäumen und Distelstauden anzuhalten.

Sperrmüll romantisch

(Sperrmüll romantisch)

Muell im Baum

Am Canal Vieux Vistre in Unkraut und Unrat versteckt befinden wir uns auf einer heruntergekommenen Mas. In einem Schuppen auf wackligem Tisch, liegen die angekündigten regionalen Spezialitäten: bröckelde Kuchenwürfel auf fettigem Papier, einige Wurstscheiben, Schnaps in Plastikbechern. Wer will, kann hier Camargue-Reis kaufen.

Homme de pay

Von einem verwitterten Einheimischen in Guardiantracht und abgetragenen Reitstiefeln erhalten wir eine mit regionalen Witzen angereicherte Einführung zur Landwirtschaft auf dem Delta. Um uns Grünschnäbeln (blancs-becs) die komplizierte Thematik näher zu bringen, benutzt der alte Fuchs bräunlich laminierte Zeitungsartikel und vergilbte Ausdrucke aus dem Internet. Ab und zu öffnet er eines seiner Gurkengläser, wo er die trockenen Reste der zahlreichen superwichtigen Insekten und Reptilien des Deltas aufbewahrt. Er besitzt auch ein Bündel Seiten aus einem Ornithologischen Nachschlagewerk „Les oiseaux des marais“. (Aus einem Bibliotheksbuch gerissen?) Dieses braucht er sowohl für die Touristen, als auch für die Jagd.

Nach spährlich Speis und Trank, dafür mit viel neuem Wissen gehts weiter auf dem lauschigen Uferwerg entlang dem Vieux Vistre. Gäbe das in diesem grünen Sonnenlicht und dem stillen Kanal wunderschöne Fotos! Eric will weiter – er sieht diese Natur täglich – hält nur kurz an, um uns einen bemoosten Stein mit einem dürren Strandfliederstrauss zu zeigen. Hier ruht ein Freund, Opfer einer regionalen sonntäglichen Course camarguaise oder der Nachfeier einer solchen.
Tragisch, aber ein echter Homme de pay und Manadier kämpft weiter, trotz aller Gefahren, sagt Eric. Von seiner kleinen Herde, den 150 Häuptern, kann er nicht leben, deshalb führt er interessierte Touristen durch das Schwemmland der Rhone. Ein solcher Zweitjob bleibt seiner Ex-Frau erspart, denn ihre Herde ist Erics um viele Häupter überlegen, sogar einige spanische Stiere, mächtige „Pleger“ mit nach vorne gerichteten waagrechten Hörnern sind darunter. Diese „Fremdlinge“ – und nur diese – geben das Fleisch für die „Gardianne“. (Weder Eric noch seine Exfrau würden ihr Vieh mit den leierförmigen Hörnern verzehren!)
Unserer Guide lässt uns aus einer Quelle trinken, reisst einen Zweig eines Strauches ab und freut sich, dass wir diesen nicht kennen. Es ist die „Indigopflanze“ , welche dem Canal entlang wächst. Der wilde Hafer am Uferbord sei besonders bei den Männern beliebt – zwinkerzwinker. „Aha, deshalb ist er so abgegrast“, sage ich. Nein das scharfduftende Büschel hier ist kein Änis, es ist wilder Fenchel, besonders gut für die Frauen – zwinkerzwinker.
Wir kommen zu einer kleinen Erhebung in diesem flachen Land und schauen auf grüne Weiden mit weissen Pferden und schwarzem Vieh. Das alles, samt prächtigem Landhaus, gehöre einem, der seine Karriere als Kehrichtsammler begonnen habe, berichtet Eric. Nach einer Brombeerpflückpause gehts in rasanter Fahrt über eine Landstrasse entlang eines mit Pflanzen überwachsenen Kanals. Das sei das Reich der Biberratten. Sie seien verhasst, eine richtige Plage, frässen alles Grünzeug samt den Fischen und zerstörten Dämme und Uferwege. Einen lebenden „ragondin“ bekommen wir bei einem solchen Tempo nicht zu Gesicht. Dafür liegen auf und neben der Strasse einige Kadaver dieses imposanten Nagers. Ich habe das Gefühl, dass Eric nicht bremsen würde, falls …
Ein bisschen „trümmlig“ klettern wir nach sechs Stunden Safari aus dem Fahrzeug. Eric schüttelt uns die Hand, schiebt den Filzhut aus der Stirn: „Au revoir et bonnes vacances!“

(Nachtrag: Die Safari war ein Geburtstagsgeschenk von 2nd, female, and 2nd, male. Merci!!)