So 9 Jan 2005
Die Dorftrottel sind ausgestorben, diese Frauen und Männer, meist bei Bauern oder Handwerkern für Unterkunft und Essen in Diensten, oft ausgenutzt, wegen ihren Behinderungen verspottet, geplagt. Trude, Hilfsnäherin bei einem Militärschneider, besuchte uns oft an Schlechtwettersonntagen. Die ganze Familie sass dann in der kleinen Stube, wir Kinder auf dem Trittofen, während Trude uns Gedichte vortrug, die sie mit ausholenden Armbewegungen begleitete. Die „tannigen“ Bretter knarrten unter den schweren Schuhen, wenn sie ihre Schlaufen ging, von der Tür zum Tisch, seitwärts zum Fenster, rückwärts am Buffet vorbei: „Ich bin die Mutter Sonne und trage die Erde bei Nacht, die Erde bei Tage …“ Fasziniert verfolgten wir die Vorführung der jungen Frau in gestricktem Rock und Schürze, ihre Arme, die A, E, I, O, U formten.
Jahre später, bei einer Aufführung des Eurythmie-Ensembles aus Dornach, kam mir Trude wieder in den Sinn und die Sonntage, als wir Bauernkinder unsere Einführung in diese Kunst erhielten.
Januar 10th, 2005 at 13:47
Ich kannte noch so eine Dorftrottelin. Allerdings in einem zentralspanischen Dorf, deswegen korrekter „tonta del pueblo“. Sie hieß Maria, hatte ein monströses Pferdegebiss und hütete die Kühe und liebte alle Kinder. Dass sie nicht ausgenutzt wurde, dafür sorgte ihre kleine, zarte und doch eiserne Mutter, mit der sie zusammenlebte. Maria ist vor ein paar Jahren als alte Frau gestorben.
Januar 12th, 2005 at 20:33
Aber 1st, die Dorftrottel sind doch nicht ausgestorben. Was ist mit Suhn, dem kriegstraumatisierten Vietnamesen? Oder Mänu, der treue SCB-Fan?
Januar 13th, 2005 at 02:33
@2nd2nd: Heute sind diese Menschen von einer Institution betreut: geschützte Werkstätten, verschiedene Heime, Sozialdienste usw. Das hat sicher auch sein Gutes. Andererseits fühlt sich die Gesellschaft für sie nicht mehr zuständig. Ich gebe zu, dass es uns Kindern nicht immer passte, wenn ein sabbernder, stammelnder Gast mit uns ass. Aber die Eltern machten nie Unterschiede, halfen, wo sie konnten und hatten für alle ein offenes Haus.