So 25 Jun 2006
E-Mail von einer Freundin in einem anderen Block:
Nachdem ich erfahren habe, dass der Mann, der seine zwei Kinder erschossen hat und dann sich selbst, zwei Hauseingänge weiter wohnte, fand ich diese Blocksiedlung auf einmal wieder schrecklich trist und no future versifft. Aber das ist natürlich vollkommen irrational, passiert ja in allen Kreisen.
Langsam erhole ich mich wieder und die Grabkerzen und Teddybärs sind nun auch weg.Gestern noch ein Schock in der Waschküche. Da lag eine dicke Strähne blonden Haars auf dem Auswringer. Sofort ein Film in meinem Kopf, ich wusste es doch, letzten Di klingelte bei uns um halb 8 die Polizei – ich öffnete nicht, sah sie aber dann ins Auto einsteigen – der alte Italiener mit der Alkohlfahne, getraut mit junger Rumänin mit eben solch langen blonden Haaren. Ich wusste es doch, dass er sie schlecht behandelt, sieht man vom Schiff aus und letzthin im Lift hat er noch eine Wunde am Arm
gehabt. Notwehr der Frau, ganz klar. Ich habe schon fast die Abwartsfrau alarmiert, aber doch zuerst noch E. mit dem Natel aufgescheucht, der sich diese Strähne mal anschauen gekommen ist. Und er fand heraus, dass es so Isolationsmaterial ist für Wasserleitungen. Hab ich echt noch nie gesehen so was, ich glaub immer noch daran, dass es Haare waren. Perückenhaare mindestens. Aber hoffen tue ich, dass E. Recht hat. Und sonst hoffe ich, dass die Frau abgehauen ist ins Frauenhaus und nichts Schlimmeres passiert ist.
Auch uns hat der eingangs im Mail erwähnte Fall aufgescheucht, der passte 1:1 auf die Familie von 3rds Freund D., von der ich hier als erstes geschrieben habe. Erst als ich endlich eine Verwandte am Telefon hatte, die schwor, unsere Freunde gerade noch lebendig in der Kirche gesehen zu haben, konnten wir uns beruhigen. Uns erstaunte es aber nicht in der Zeitung zu lesen, dass dieser suizidale Familienmörder – oder wie man die inzwischen nennt – ein Spieler war. Das Gewaltpotential von jedem wird analysiert und diskutiert, aber nicht das von Spielern. Dabei hat sich dieses Problem mit der Zulassung der Casinos (einer per Abstimmung und wider meinen Willen abgesgneten Einnahmequelle für Väterchen Staat) massiv verschärft.
Es ist nicht neu: Egal wie tief ein Mann sinkt, es finden sich immer Frauen und Kinder, die er mit sich in den Abgrund reissen kann. Für diese Erkenntnis reichte dem grossen Büchner ein Fragment und alt und weise brauchte er dafür auch nicht zu werden.
Juni 27th, 2006 at 01:02
Ja, so ein „Großer“ musste zu meiner Schulzeit unbedingt durchgekaut werden… Der „Allergrößte“ Goethe hat wohl auch so die ein oder andere seiner „Inspirationen“ unters Schafott gebracht (da sie dummerweise seinetwegen schwanger wurde…)
Nebenerscheinungen der Weltliteratur und unserer Geschichte ?
Juni 27th, 2006 at 08:03
Ich mag Büchner, ich mag Goethe und ich finde, sie gehören in die Schule.
Und würde ich alle Frauen und Männer, deren Werk ich bewundere, an ihren privaten Fehlentscheidungen aufhängen, wären kaum noch jemand übrig.
Nebenenerscheinungen, Kollateralschäden, wie auch immer man es nennen will: niemand ist persönlich edel, weil sie oder er ein edles Werk hinterlassen haben.
(Ausser Büchner natürlich. Er hatte keine Zeit, sich unbeliebt zu machen, höchstens bei Fischen, welche er für seine Doktorarbeit seziert hat. Danach war er bleich und tot.)
Juni 27th, 2006 at 17:17
Heute im der Zeitung zur Spielsucht.
Juni 27th, 2006 at 21:15
@2nd, female, Ich sehe das etwas anders; gerade bei Goethe kann man wohl kaum von privaten Fehlentscheidungen sprechen; es war ihm schlichtweg s……egal, was aus der jeweiligen Inspiration wurde… aber das Thema ist zu komlex, gäbe ein spannendes Seminar ab…
selbstverständlich gehören sie in die Schule…
ich persönlich würde mir einfach etwas mehr Kritik wünschen, z.B. wie kann einer so „edle“ Gedanken haben und so „unedel“ sein? Geht das?
Ich glaube eben letztendlich nicht. Und ich schätze sein Werk, aber nur als „zerissenes“…
Gruß aus dem „großen“ Kanton
(ist es nicht im kleinen wie im großen?)
Juni 28th, 2006 at 23:58
Tja, das ist eine Frage der Terminologie. Wenn einem Typen Frauen scheissegal sind und er macht weder Politik noch begeht er irgendwelche Verbrechen, sondern hat einfach unfaire Affären und lässt die Kinder sitzen, so sind das für mich private Fehlentscheidungen (weil auf Kosten anderer und unmoralisch) und ich werde sein Werk weiter lesen, wenn es mir gefällt. Ich persönlich denke wie du, dass es stets nützlich ist, etwas über die Autorinnen und Autoren zu wissen, aber ob das für den Unterricht wichtig ist, ist ja sehr umstritten und die Schülerinnen und Schüler verweigern das gern.
Gerne darf frau also kritisch und noch kritischer sein! Soll sie sogar, jederzeit! Aber wenn ich mich so umsehe, so interessiert sich keine Sau für Goethe und Schiller war’s auch nur wegen dem Schillerjahr. Allerdings interessiert sich auch niemand für Bettina von Arnim oder Else Lasker-Schüler.
Ich bleibe dabei: Edle Dichtung und edles Verhalten müssen überhaupt nicht Hand in Hand gehen, dafür war ich weissgöttin an genügend Lesungen und Buchmessen, an denen einige Autorinnen ihrem Werk auch keine Ehre gemacht haben sondern der Intrige und Zerstörungswut Luft. Ich lese sie aber immer noch.
Viele Grüsse in den grossen Kanton!
Juni 29th, 2006 at 23:13
Nachtrag: Ich war nicht spezifisch genug und kann das nun folgende leider auch nicht untermauern (vielleicht kann 1st aushelfen), aber es war wohl tatsächlich so, dass zu Goethes Zeiten Schwangere ohne Ehegatte unter die Todesstrafe fielen und eben jener Großartige in solch einem Kommitee gesessen hat und das Urteil über eine mitgefällt hat, die er selbst geschwängert hatte.
Das hat mich so aufgebracht. Ein Literaturprofessor aus Freiburg recherchiert darüber, mal sehen, ob ich näheres erfahren kann. Ansonsten bin ich schon deiner Meinung. Auch Dichter/Philosophen/Künstler sind Menschen 🙂
Juni 30th, 2006 at 01:15
Ja, das täte mich auch interessieren. Meine lezte Goethe-Bio liegt allerdings auch eine Weile zurück, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so etwas überlesen hätte. Das hätte meine Sozialisation schlicht nicht zugelassen 😉
Juni 30th, 2006 at 09:15
Jetzt hab ichs gefunden und korrigiere mich hiermit: Es geht um die Todesstrafe für „Kindsmörderinnen“, die Goethe unterstützt hat, er war auch nicht der Vater, hätte es aber gleichwohl sein können (habe etwas zu sehr dramatisiert vielleicht…)
Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn, Königshausen und Neumann, März 2005.
Rezension siehe http://www.querelles-net.de/2005-17/text17kuenning.shtml
Juli 5th, 2006 at 00:26
Danke, endlich habe ich alles dazu gelesen. Klingt nicht sehr ehrenhaft…