Do 21 Sep 2006
Heute traf ich beim notdürftigen Einkauf in Eile eine Mazedonierin, die ich seit Ewigkeiten kenne. Sie ist eine intelligente und interessante Gesprächspartnerin, normalerweise unterhalten wir uns trotz unterschiedlicher Auffassungen sehr zivilisiert.
Sie hat zwei von ihren drei Kindern reinrassig verheiratet und hat nun nur noch die Sorge, auch das letzte Kind – eine Tochter – an den mazedonsichen Mann zu bringen.
Heute habe ich sie mit älterer Tochter und Enkel gesehen und sie hat sich nach meiner Schwester erkundigt. Hat gefragt, was sie für ein Kind bekommen hätte und ob es ihr gut gehe. Weil ich wusste, dass ihre Tochter gerade eine Fehlgeburt hatte, habe ich mich zuerst sehr zurückgehalten. Als sie jedoch weiter und im Detail fragte, wie sich die jungen Eltern machten, bin ich leicht bissig geworden. Ich gab zur Auskunft, dass alles rund liefe, wenn denn die albanische Schwiegerfamilie sie nicht so miserabel behandeln würde. Als sie meinte, das könne ja nicht so schlimm sein, ergänzte ich, dass diese Familie uns wie auch unsere ganze Unterschicht-Nachbarschaft um ein Vielfaches an Vorurteilen übertreffe und gab ein paar Beispiele.
Ach! meinte sie, das sei nur Blabla und das erste Jahr sei sowieso schwierig!
Tja, Blabla sei für mich persönlich etwas anderes und auch gesetzlich machten wir ein paar Unterschiede zwischen Blabla, Beschimpfungen und Drohungen.
Aber, aber, meinte sie weiter, die Familie sei halt in tiefer Trauer, dass der Sohn keine Frau der richtigen Abstammung hätte – so traurig, dass sie halt gar nicht mehr sähen, dass meine Schwester ja so eine Nette sei.
Eine Nette! rief ich. Nein, mangelnde Nettigkeit sei ganz gewiss nicht das Problem. Für Geld und Bewerbungsschreiben könne man bei der Netten und dem Sohn jederzeit anklopfen, da kenne man keine Berührungsängste. (Ich sah im Geiste meinen ruhigen Schwager sich meinetwegen durch alle Böden schämen, aber ich vermochte mich nicht mehr zu bremsen.)
Heute eine Nette, morgen eine Nutte, wie es gerade beliebt, nicht wahr? Aber alle Albanerinnen sagen mir, das seien nur leere Worte, nicht schlimm, nur Ausdruck von Trauer; verständlicher Trauer. Allah hu Akbar aber nur Worte ohne Inhalt? Alle Rede ohne Bedeutung, hä? Befinde ich mich eigentlich im Europa des 21. Jahrhunderts um mir Abstammungstheorien und Blut-und-Boden-Rhetorik anzuhören?
Nein. Ich sagte nicht, verreist doch alle zurück auf eure Scholle, damit jedes Kind reinrassig bleibe. Nein, mein politischer Schutzengel hat mich gerettet. Heute, 14:12, in einer trostlosen Denner-Filiale am Rande der Stadt.
Der weiss, was sich gehört. Und ist da, wenn es drauf ankommt. Danke sehr.
September 21st, 2006 at 23:06
Wir seien immer nett gewesen, sagte mir heute der vietnamesische Mann, der sechs seiner Geschwister im Krieg verlor und vor 20 Jahren als völlig gestörtes Kind auf langen Umwegen in die Schweiz kam. Seine Mitschüler liebten es – rätätäta – auf ihn zu schiessen, so dass er sich schreiend in eine Ecke verkroch. Nun ist er stark und keiner rührt ihn mehr an. Er ist Gärtner und pflegt die vielen Rosenstöcke im Garten einer psychiatrischen Klinik. Er fragte, wie es meiner Tochter und dem Schwiegersohn gehe, betonte mehrmals, wie wichtig es sei, dass alle miteinander auskämen und gut zusammen lebten. Kein Wunder, halten ihn die Leute hier für verrückt.
September 22nd, 2006 at 00:35
Wie immer, werden es die Ver-rückten sein, die etwas ändern oder bewegen…
September 22nd, 2006 at 00:39
Kosovarischer Schwager mit Vater kreuzten heute meinen Weg im Türrahmen des Haupteinganges. Nie hätte ich gedacht, dass mann mich in dieser Situation mit zuckersüssem Kind auf dem Arm wie Luft behandeln kann.
September 22nd, 2006 at 01:28
Die Stärke liegt im Arm. Alles andere ist Luft.