So 23 Jan 2005
Albert hört gerne die Verkehrsmeldungen. Heute, mit fast 89 Jahren, macht er seine Reisen nur noch im Kopf, sieht man von den vorsichtigen Fahrten ab, die er jeden Samstag vom Hof ins Dorf unternimmt. „Lukmanier gesperrt“ löst bei ihm ein verhaltenes Lachen aus. Ha, der Lukmanier …
Während der 2. Mobilmachung 1940 wurde der Bauernsohn mit einigen anderen Landbernern in den Kanton Tessin nach Malvaglia verlegt. Als sie am Ort ankamen, stand bereits eine Panzeratrappe auf dem Platz. Obenauf sass einer, der funkte wichtig in der Gegend herum, es war der Krebs vom Rütteli. Dieser hatte den Posten wahrscheinlich bekommen, weil er mit dem Traktor ähnlichen Motor der Atrappe umzugehen wusste.
Obwohl Albert und seine Kameraden eigentlich der Kavallerie angehörten, wurden ihnen bei der Ankunft nur alte Drahtesel zugeteilt. Dann hiess es:
„Ab, auf den Lukmanier, zur Beobachtung“.
Mein Vater kramt nun auch in seinen Erinnerungen, erzählt, dass das Aufgebot ins Militär für die Bauernsöhne ein willkommener Anlass war, heraus zu kommen und etwas Neues zu sehen. Im Gegensatz zu Albert wurde der junge Bauer „nur“ nach Burgdorf, wenig Kilometer von seinem Hof entfernt, zur sogenannten Spahi-Wache beordert. Was er da vom Krieg zu sehen bekam, war für den „Rösseler“ grauenhaft. Eisenbahnwagen, beladen mit Pferden, alle Tiere in schlechtem Zustand davon viele bereits tot, verhungert, mussten ausgeladen werden. Dazu gehörte ein Teil der 12000 polnischen Soldaten, die sich von Frankreich her über die Grenze in die Schweiz abgesetzt hatten und nun in Internierungslager unter gebracht werden mussten.
Ich merke, dass Vater mehr den verhungerten Pferden nach trauert, als den Polen, die auch ziemlich fertig gewesen sein mussten, so ohne Waffen in einem fremden Land.
Die Spahis, nein, die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: „Was haben die, was wir nicht haben?“ Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber „ums Verroden“ nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
Es gibt ein Foto von meiner Mutter. Jung, lächelnd steht sie auf einer abgemähten Wiese, umringt von braungebrannten polnischen Internierten, die bei der Ernte helfen. Sie kann über diese Spahi-Weiberhelden bis heute nur Gutes sagen: freundlich, lustig, hilfsbereit und fleissig waren sie, sahen sofort, dass da schon einer war, der ein Auge auf die junge Frau geworfen hatte – mein Vater.
Wie der Begriff „Spahi“, den ich bis gestern noch nie gehört hatte, von Persien bis zu uns ins Bernerland gekommen ist, weiss ich nicht.
Wahrscheinlich mit den Handelsleuten über den Lukmanier … ?
Januar 24th, 2005 at 23:27
Ein schöner Text. Findet man nicht so schnell irgendwo, trotz Titelflut zur Schweiz im 2. Weltkrieg. Mehr davon, ehe niemand mehr da ist.
Dezember 14th, 2005 at 11:38
Spahis ist die Bezeichnung für i.d.R. nordafrikanische, berittene Söldnerruppen in französischen Diensten während des 2. WK.
Eine ganze Anzahl solcher Spahis flüchtete 1941 bei der Kapitualtion des 43. Artillerieregiments der Franzosen zusammen mit weiteren französischen Armeeangehörigen über die Juragrenze in die Schweiz. Dort wurden sie entwaffnet und später in Absprache mit den Deutschen wieder nach Frankreich abgeschoben.
Um sie von der Front fernzuhalten, wurden die Spahis wie auch die übrigen fr. Armeeangehörigen in der grenzfernen Schweiz „interniert“
Dezember 14th, 2005 at 23:56
Danke, lieber M.S. für die interessante historische Ergänzung!
Juni 2nd, 2006 at 22:07
Kleine Berichtigung zum Eintrag von Matzinger Stefan:
Von Juni 1940 (nicht 1941) bis Ende Januar 1941 waren in der Schweiz etwa 1000 Spahis und einige hundert Pferde interniert (cf. Historische Ergänzung 1st Says). Es handelte sich hierbei um das ganze 7. Regiment des Spahis Algeriens (7. RSA) und um einen Stabszug des 2. RSA. Das 7. RSA bildete mit dem 9. RSA die 2. Spahi-Brigade. Dies kämpfte innerhalb des 45. franz. Armeekorps unter General Daille. Das gesamte Korps wurde von der dt. Panzerdivision unter Guderian eingekreist und Richtung Schweiz abgedrängt. Es blieb nur noch der Rückzug in die Schweiz. General Daille bat den Bundesrat um Internierung. Dieser erinnerte sich an die Bourbakiarmee und liess die Grenze am neuenburgischen Jura in der Nacht des 19. Juni öffnen. Etwa 40000 Soldaten kamen so in unser Land. Darunter auch die 2. polnische Schützendivision (12000 Sdt).
Das 7. RSA (1000 Spahis) wurde im Seeland interniert. Der Stabszug des 2. RSA (114 Spahis) kam nach Triengen LU. Dort blieben sie bis zum 7. Oktober 1940. Anschliessend wurden sie in die Nähe des 7. RSA nach Molondin bei Yverdon gebracht.
Am 10. Juni 2006 werden die Spahis übrigens nach Triengen reisen und der Bevölkerung für die damals entgegengebrachte Menschlichkeit eine Ehrenmedaille überreichen. Mehr dazu unter:
http://www.triengen.ch
Juni 3rd, 2006 at 01:00
@Manuel M.
Ganz herzlichen Dank für diesen Beitrag!
Juni 6th, 2007 at 12:37
Ich zitiere morgen aus diesem Posting auf der Blogwiese. Die URL (ab 6.6.07) wird sein:
http://www.blogwiese.ch/inhaltsverzeichns/602
Gruss, Jens Wiese
Juni 6th, 2007 at 12:38
Sorry, Fehler in der URL
sie lautet ab 7.6.07
http://www.blogwiese.ch/archives/602
Gruss, Jens
Juni 8th, 2007 at 00:49
@Jens-Reiner Wiese
Ein interessanter Beitrag. Danke! Ich werde ihn meinem Vater vorlesen.