Alles oder nichts


3rd: Mam, D. hat heute Bilder gezeigt.
Ich: Was war drauf?
3rd: Saddam, BinLaden und ein anderer Iraker.
Ich: Und was noch?
3rd: BinLaden einfach so.
Ich: Und Saddam?
3rd: Schrecklich, an den Hoden aufgehängt.
Ich: Und der andere Iraker?
3rd: F* einen Esel.
Ich: Sah es echt aus oder eher wie ein Comic?
3rd: Nein, wie Fotos. Aber gefälscht, das würde ja nie jemand in Echt tun.
Ich: Doch. Aber sie waren dennoch gefälscht.
3rd: Warum zeigt mir D. das?
Ich: Woher kommt er?
3rd: Er ist ein normaler Schweizer. Er hat nicht einmal im Wald gelebt und kein Onkel ist in einem Massengrab.
Ich: Keine Ahnung, vielleicht weil er deine Meinung dazu wissen will.
3rd: Ich habe nur wääh gesagt.
Ich: Immerhin. Kind, diese Schule braucht einen Ethikrat. Und wenn Kinder wählen könnten, würden sie vielleicht dich da hineinwählen. Aber zu spät. Ab Sommer gehst du auf eine Gutmenschenschule.

2 Schreibtische (Normgrösse, grau)
1 PC mit Bildschirm und Tastatur schwarz-grau
1 Drucker schwarz-grau
1 Wandkarte der Stadt Bern (ca. Jahrgang 1950)
1 Wandbild (verbleichter Druck eines Miró)
1 A4-Blatt mit der Rechtsbelehrung in Sachen Fundgegenstände (ca. Jahrgang 1980)
1 A4-Blatt mit „TV via Natel“ und einer Handynummer
3 Gesetzbücher (zerfleddert)
1 Block mit Hüselipapier
1 Kulli
1 Tupperware
1 Bürostuhl
2 Besucherstühle
1 klitzekleines rundes Tischchen
1 Broschüre über Berufe bei der Polizei

Vernehmungsraum auf Berner Polizeiposten, heute, d.h. gestern, von Innen gesehen.

Obowohl die Mobbing-Sache vom bedauernswerten 3rd nun eskaliert und der Konflikt eiskalt ist, gibt es aus logistischen Gründen noch ein kurzes Telefonat mit der Sozialarbeiterin.

„Es wurde viel Geschirr zerschlagen, auf beiden Seiten,“ sagt sie.
„Besser Geschirr als Kinder,“ aber das denke ich nur.

Weisse und gelbe Bänder zerteilen den Acker in Quadrate und Dreiecke. Die Sonne scheint auf die Erde in welche am Vortag eingesät wurde. Ein Kirschbaum wirft seinen Schatten auf das Quadrat am östlichen Rande des Feldes. Auf dem gemütlichsten Plätzchen am ganzen Rain sitzt eine Schar Krähen. Sie lassen sich nicht stören durch die flatternden, sirrenden Bändern um sie herum. Die Vögel haben die Giftkampagne vom Januar dieses Jahres überlebt und geniessen den Sommermorgen. Am Montag wird der Bauer sich eine andere Vogelscheuche ausdenken müssen.

Mir kommt das gelehrige Rattenpärchen von der Calangute Beach in den Sinn. In einem Kokospalmenhain in der Nähe des Strandes hatten wir für wenig Geld ein Häuschen gemietet. Neben den schwarzen Skorpionen, die ums Loch des Stehklos hausten, gab es auf dem Dachbalken des Einraumhauses ein Rattenpaar. Flink trippelten die beiden Tiere hoch über unseren Schlaftstellen auf den Balken, liessen die schuppigen Schwänze in den Raum hinunter hängen, beäugten uns Neulinge. Gruusig, fand ich und nahm eine lange Bambusflöte zur Hand, mit der ich schon erfolgreich den Skopionen den Garaus gemacht hatte. Ich versuchte die Nager zu erschlagen (Entsch …!), obwohl die Ratten in Indien zu den heiligen Tieren mit eigenen Tempeln gehören. Aber sie schienen mich auszulachen, denn ich traf nie. Vom Markt schleppte ich ein amphorenartiges Tongefäss mit rundem Boden heim, um die Esswaren darin sicher aufzubewahren. Zudecken wollte ich diesen Behälter mit einem passenden Blechteller. In unserer Abwesenheit gelang es den Ratten, das schaukelde Gefäss umzukippen, indem sie danach sprangen. Nun liess ich mich von einer Fachfrau beraten und hängte ein festes Plastikbecken an einem glatten Draht mitten in den Raum. Das pelzige Pärchen verfolgte meine Bemühungen mit glänzenden Knopfaugen und bebendem Schnauzhaar. Diesen Draht schafft ihr nicht!
Als ich am Abend nach Hause kam, hatten die Ratten unter dem Deckel ein Loch in das Becken genagt und sich am Vorrat gütlich getan. Ich fuchtelte zornig mit der Bambusflöte in Richtung Balken, wo die beiden gerade erst so richtig munter wurden. Nach und nach begann ich, die Bewohner unter dem Dach zu bewundern und zu akzeptieren. Dank ihnen hatten wir keine anderen unliebsamen Gäste im Haus. Ich gewöhnte mich an einen höflichen Ton, wenn ich mit ihnen sprach. Berndeutsch war für sie kein Problem. Ich schnitt Tomaten, während meine neuen Freunde am Tischrand sassen und interessiert zusahen. Von Zeit zu Zeit legte ich ein Stücklein vor sie hin, welches ohne Hast verzehrt wurde.
Ich erinnere mich nicht, dass die Amphore noch einmal zu Fall gebracht wurde.

Dieses heitere Bild von lauter jungen schönen Menschen wurde natürlich nicht auf einem der 140 Regionalen Arbeitsvermittlungszentren aufgenommen. Den Leuten, welche die Dienste der 1800 Beraterinnen und Berater in Anspruch nehmen müssen, ist das Lachen vergangen. Sie sind arbeitslos. Das ist zwar bitter, aber immerhin können so 1800 andere ihren Job behalten.
Das freundliche Ehepaar um die Sechzig, seit Monaten in einen schleppenden Versicherungsfall verstrickt, deshalb ohne Einkommen und ein bisschen am Boden zerstört, trifft auf einen netten Berater. Er versucht, den beiden zu vermitteln, dass sie sich nicht schämen müssten, auf dem RAV (in Berndeutsch „Raff“) gelandet zu sein. Die arbeitslose Konditorin etwas über Vierzig dagegen ist überzeugt, dass ihre Beraterin sie hasst und sie mit Absicht ins abgelegene Olten, zusammen mit Behinderten in einen Weiterbildungskurs schickt. Dagegen konnte der junge Familienvater, erst seit kurzer Zeit in der Schweiz, einen Kurs in Hausreinigung besuchen. Gratis. Er hat nun eine Arbeitsstelle in einem Schulhaus gefunden.
Im Mai 2005 gab es in der Schweiz 145370 registrierte Arbeitslose. Ihr Job ist es, sich mit den unzähligen oft wechselnden Bestimmungen herum zu schlagen und dazu die vorgeschriebene Anzahl Bewerbungsschreiben zu verschicken, irgendwo hin. Ich muss mich damit auseinander setzten, auch bald dazu zu gehören. Denn meine vornehme Vorgesetzte, Frauenrechtlerin der ersten Stunde ist daran, ihren Betrieb zu reorganisieren – mit neuen Männern.
Im Laufe meines schon ziemlich langen Lebens habe ich vielen Mitmenschen geraten, durchzuhalten, die Hoffnung nicht zu verlieren, in der „verschütten“ Situation eine Chance zu sehen, keinesfalls aufzugeben.
Sich selber solches zu Herzen zu nehmen, neugierig in die Zukunft sehen, mit dem halbvollen Glas in der Hand … ja, das erfordert Stärke.
Nur, wie sage ich das meinem Magen?

Vielleicht hat jemand gemerkt, dass ich schon laaange keinen Beitrag mehr verfasst habe. Ich weiss gar nicht, was ich im www im Moment zu sagen habe. Mein Alltag verläuft ausnahmsweise gerade überdurchschnittlich bürgerlich. Kann frau das so sagen, wenn ich mich jeden Morgen in unserer neuen Wohnung darüber freue, wie schnell die Bohnen wachsen, dann in die Schule gehe und jeden Abend meinem Freund ein SMS-Kränzchen winde, dass er die Wäsche erledigt und geputzt hat? Jetzt macht sich auch schon wieder meine Blogkade bemerkbar. Ich bin heute viel zu normal, um einen kurzweiligen Bericht zu schreiben und setz mich lieber noch eine Stunde vor den Fernseher, strickend, versteht sich…

„Isch es schwiriger zum Fahre bi däm Rägewätter?“ fragt eine alte Frau den Zugführer der Regionalbahn. „Nenei, mi muess nume es Bitzeli früecher afa brämse,“ beruhigt sie der Mann.
Bern bekommt den Bahnhofplatz mit Baldachin! Im sog. Vorfeld der Abstimmung haben sich Bürgerinnen und (zahlreiche!) Bürger Sorgen darüber gemacht, wie eine Welle aus Glas denn sauber zu halten sei.
Im Bernerland liebt man einfach kein Genusch und sucht ständig nach Lösungen, solches zu verhindern. (Freiburger sind da etwas anders.)
Die Stieregghütte, durch einen Erdrutsch vor einigen Tagen beinahe in den Abgrund gerissen, wurde gestern abgebrannt. Man wolle keine Unordnung in der Schlucht unten.

Item – ein solches Abstimmungswochenende muss überschlafen werden. Diese weltoffene moderne Schweiz kann schon ein bisschen beunruhigen. Auch Bremsen will eben gelernt sein.

Zwar sind die Dummen aus dem Westen, aber sie können Stadt einwärts immer sitzen! Nach der dritten Haltestelle wirds dann schon ein bisschen eng und ich kann den „Bund“ nur noch einseitig lesen, entweder rechts oder links. Heute hatte ich rechts: Papst Benedikt und die Fortpflanzung, Gewalt zwischen den Muslimen, Schonfrist für Lombardi, Sexsüchtige kleiden sich besser, Stieregg am Abgrund und zuhinterst der Sport mit Roger Federer, der keine einzige Zahnplombe hat und dessen „Batterien noch voll“ sind.
Beim Aussteigen aus dem 14er muss ich aufpassen, damit ich nicht vom 13er aus Bümpliz, dem 10er aus Köniz, gar dem 12er aus der Längasse überfahren werde. Gleichzeitig gilt es, die Tramschienen der 3 nach Saali, der 5 in den Ostring und der 9 zum Guisanplatz heil zu überqueren. Vorsicht, dass die 3 nach Wissenbühl, die 9 nach Wabern oder die 5 ins Fischermätteli mich nicht überrollen. Vor lauter Obacht geben übersehe ich den 12er, der gleichzeitig mit mir Grün hat. Es wird gehupt – ärgerlich. Ich lächle entschuldigend, winke ein bisschen zum Fahrer hinter der Scheibe. Der 26er nach Wyler hat Rot. Ich eile ihm vor der flachen Nase durch, aber hoppla, hinter dem 28er ins Wankdorf kurvt schon der 21er aus Bremgarten. Endlich habe ich die Bahnhofhalle erreicht. Die Miss Schweiz 2005 (oder ihre Schwester?) verteilt Gratisgetränke aus einem Container. Es handelt sich um ein Valser Viva mit Melisse- und Birnengeschmack, kalorienarm, Wellness pur – zum Davonlaufen.
Wir brauchen, Bernburger hin oder her, einen neu gestalteten Bahnhofplatz. Abstimmung nächstes Wochenende!!

In Indien hatten wir einige Zeit unseren persönlichen Bettler. Er liess sich im Schatten des „Deux Chevaux'“ nieder, rückte sein Bakelit-Bettelbein zurecht, damit es erbärmlich unter dem ebensolchen Dhoti hervor lugte. In diesem rosa Bein befand sich etwas unter dem Knie ein Schlitz. Damit erwies der Bettler den Menschen die Gnade, jeden Tag eine Münze einwerfen zu dürfen und so leicht zu einer guten Tat zu kommen. Die Rupie kullerte dann hinunter bis in die Tiefe des Fusses, und wir bekamen als Dank ein strahlendes Lächeln. Der Mann gehörte nicht zu den Missgestalteten und Leprösen, sondern schien, abgesehen von seinem Bein, einem Bollywood-Film entsprungen zu sein. Sein Englisch war beachtlich, und wenn es uns eine Freude machen wollte, sagte er „Chuchichäschtli“. (Das Wort hatte er nicht von uns.)
Reisten wir z.B. von Dharamsala nach Simla, war er bald auch in Simla.
Zum Dussera-Fest tauchte er in Manali auf. Diesmal hatte er das Balkelit-Bein nicht dabei. Er trug flotte Levis, stand auf zwei geraden langen Beinen, schwenkte die Hüfte zur Blechmusik und zwinkerte mir über die Schulter zu: eben ein grossartiger Bollywoodstar, der sein Metier durch und durch beherrschte.
Die Bettler am Bahnhof sind da nicht so einfallsreich:
Hesch mer e Stutz (1 Fr.) für uf e Böss,
uf ds Poschtouto,
e chli Münz (Kleingeld) für d’Notschlafstell,
für ds Frässe für e Hung,
für e chly Suppe,
für zum Tokter? – fantasielos eigentlich. Manchmal gebe ich etwas, ein Schoggostengeli, ein Weggli, selten Geld. Manchmal sage ich auch genervt: „Eben wollte ich dich um etwas Münz bitten.“
Als ich gestern nach Hause kam, stand vor meinem Eingang eine fremde Frau. Sie sagte zu meiner Nachbarin: „Darf ich Sie dringend um etwas bitten? Es ist zwar blöd und ich traue mich nicht recht. Würden Sie mir eine Rolle WC-Papier schenken?“ Die Frau zog zufrieden mit der Klorolle ab. Meine Nachbarin sagte: „Hoffentlich macht sie nicht irgendwo hin.“ Ich antwortete: „Das ist doch egal, es ist ja schon so dreckig.“

sagt uns Abendschein via Dranmor. Also nicht abschliessend, natürlich. Sondern eher fragend.

Das hat schon was, das Fragende. Die RAF wäre also in Stammheim, so mancher Jude im Getto, so mancher Bauer im Tenn und so mancher Schüler im Internat heimisch wie heimatlos zugleich.

In diesem Sinne könnten wir nicht wissen, ob nun der Blogk, der Längenberg oder das Emmental unsere Heimat sein wird, ehe wir uns nicht je aufgeknüpft haben. Der hier im Kommentar erwähnte rurale Diminuitiv sowie die philosophische Frage Abenscheins, ob Suizid bei verschiedenen Heimatten überhaupt möglich ist, möge uns davor bewahren, den Galgenstrick zu testen.

“ … wo um Himmels Willen ist Lüderen?“ fragt mich eine Freundin, der ich von dem geplanten Familienausflug erzählt habe. Lüderen ist eine Alp im tiefsten Emmental. Auf die Frage: „Wohin gehtst du?“ antworteten wir als Kinder: „Uf d’Lüdere, ga Tee südere u äne ache pfüdere“. Ein enges Strässchen, zwischen Nagelfluh und Wildbach, führt hinauf auf die Alp. Es ist Bergfrühling und der Weg gesäumt mit Blumen, die ich schon lange vergessen hatte. Man fährt durch Gotthelf-Land mit Bauernhöfen, Stöckli und Speicher, die an den steilen Hängen kleben oder auf einem Hügel thronen.
Ab und zu ein Sägewerk oder eine Käserei. Das Simmentaler-Fleckvieh ist nicht mehr unter sich wie früher, käut wieder mit Freiburgerschecken und Grauen. Erreicht man nach vielen Kurven die Lüderen, hat man einen wunderbaren Blick über Wälder und tiefe Täler, hier „Chrächen“ genannt.
Was ein „Lüderen-Galgen“ ist, erklärt vielleicht jemand, der dabei gewesen ist?

(Nach einem Wochenende mit so viel „Gegend“ zieht es meine Familie wieder in die Stadt, fertig Idylle, zurück in den Block – dabei haben sie ihre Wurzeln zwischen Schwarzwasser, Lauterbach und Emme!?)

Es ist beschissen, wenn das Kind ein Mobbingopfer wird, denn das bleibt es eine Weile. Gerade neue Photos von 3rd erhalten, zwei dabei, die treffen. Das, auf dem er sich ein Kartonschild geschrieben und fest über die Stirne geklebt hat: „ICH BIN DUMM“. Oder das, auf dem er die andere Wange hinhält mit den Striemen, die ihm ein Kindergartenjunge verpasst hat – während ihn sechs ander Jungs festhielten und auslachten.

Aber auch andere Kindersachen sind beschissen. Zum Beispiel der Augen-OP vom Kind II.

Dass Kinder auch die ekligen Seiten des Lebens mitleben, wird im Vorfeld wohl unterschätzt. Immerhin scheint Bloggen ein relativ gutes Ventil für schlaflose Mütter.

Heute ist Bill C. in der Stadt. Eine Vordelegation, das Advance-Team, hat die berühmten Tschirren-Pralinen getestet, die Antiquitäten- und Zigarrenläden in der Altstadt geprüft, zur Irreführung der Terroristen die Flugplätze Payerne u n d Belp gesichert. Bis in den Kursaal sind Wachposten aufgestellt. Fast wäre ich heute früh über ein Saxophon gestolpert, das unauffällig an der Mauer der Heilig Geist Kirche lehnte. Einer, der dort sein Frühstücksbier süffelte sagte mir, dass heute in der ganzen Stadt Saxophone griffbereit stünden, damit Bill nach Lust und Laune …
Für ein bescheidenes Eintrittsgeld von Fr. 1280.- ist man dabei, wenn Mr. Clinton eine seiner berühmt würzigen Reden hält.
Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, ist er sicher schon weg. Schade.
Die letzte berühmte Person, die ich gesehen habe, war Gracia Patrizia von Monaco, als sie 1960 im offenen Wagen die Bundesgasse entlang winkte. Die Bernerinnen und Berner winkten zurück. Nur ich brachte meinen Arm dazu nicht hoch.

Ich hatte mir vorgenommen, meine Arbeit an gewöhnlichen Werktagen öfter in ein Café eines Gemeinschaftszentrums in unserem oder einem angrenzenden Blockquartier zu verlegen. Meine Erfahrung sagt nämlich, dass ich mehr raus gehen, Demut lernen und Verständnis haben muss, je einfältiger und schrecklicher mir die Nachbarn erscheinen.

Das macht sich in Form von Spannung bezahlt. In diesen kleinen Cafés, die von Quartierleuten in Schwung gehalten und subventioniert werden, höre ich Sorgen („nein, nein, es geht ihr noch gar nicht besser“), Schadenfreude („der Bankrott geschieht ihnen „ins Füdle ine“ recht! Hätte sie uns den alten Laden nicht genommen, wären sie jetzt besser dran!“) und Vorstellungsgespräche von angehenden Schulkommissionsmitgliedern („nein, es läuft nicht immer, wie-n-es-sötti“).

Das allerbeste Gespräch jedoch war eines zwischen zwei Mitarbeitern eines Quartierzentrums und zwei Mitarbeitern einer Lokalzeitung. Seit es die Block-Quartiere gibt, gibt es da auch eine Zeitschrift, den „WulcheChratzer“ (in Hochdeutsch: „Wolkenkratzer“, in Quartierdeutsch: „Wulchi“). Selbiger wird von hier Arbeitenden und von den Quartierbewohnerinnen und –bewohnern gemacht und von den Kindern für ein Taschengeld an die Haushalte verteilt. Es gibt sogar eine individualisierte Ausgabe in Form eines beiliegenden Infoblatts für bestimmte Blöcke. Dem gegenüber steht eine kommerzielle und rechtslastige Lokalzeitung, die inzwischen Teil einer ganzen MüllMediengruppe ist.

Den beiden Herren von der Lokalzeitung ging es darum abzutasten, ob sie eventuell den „WulcheChratzer“ in die Tasche stecken könnten. Einerseits haben sie ein Angebot gemacht: Sonderausgabe für die bisher mit dem „Wulchi“ bedienten Quartiere. Andererseits haben sie Unsicherheit gesät: Wenn ein Kind, das den „Wulchi“ in Briefkästen verteilt, einen Unfall hat, wer zahlt dann? Wer trägt die Verantwortung? Fragen über Fragen.

Ich habe mich ja auch schon geärgert über Sozialarbeiter (sorry allerseits), aber heute war ich sehr stolz und dankbar. Sie sind cool geblieben, haben dumme Witze mit dummen Witzen pariert. Zum Schluss meinten sie, dass sie sich melden würden, sollten sich dereinst keine Freiwilligen für die Wulchi-Arbeit mehr finden.

Also los, Leute!

Nicht kommerzielle Angebote fordern nicht kommerzielle Arbeit. Unsere Trägheit ist deren Macht. (Ja, ich habe in den Achzigern Transparente gesprayt, das ist besser als jedes Motivationsseminar.)

Friede den Blöcken!
Krieg den Medienpalästen!

2nd, male und ich haben uns heute elternhalber gefragt, ob hinter unserer Kulturvermittlung an 3rd überhaupt irgend eine Idee steht? Wir mussten zerknirscht zugeben, dass nein.

Nehmen wir dieses Pfingst-Wochenende: Am Freitag waren wir auf 3rds Anregung in einem Gitarrenkozert von einem Oud-Spieler, einem Gitarristen und einer Pipa-Spielerin. Die Pipa kannten wir nicht und Ling Ling Yü, die sie spielte, hat 3rds Prophezeiung (die er seinerseits von seinem Musiklehrer hatte) bestätigt: „Sie ist nicht grösser als ich aber sie spielt wie der Teufel.“ Genial, wie die Gitarrenkonzerte Bern eigentlich immer sind.

Dann haben wir für Samstag eine Flamencoaufführung (dieses Mal gegen 3rds Willen) abgesagt, mangels Energiepunkten.

Am Pfingstsonntag haben wir die Quatierkultur gepflegt, die hier ja einiges hermacht. Vor allem blüht der islamische Teil an christlichen Feiertagen, die Muslime nutzen diese Zeit der Langeweile mit geschlossenen Läden und Restaurants für private Treffen und Grillpartys und alle zusätzlich fallenden Feste.

Heute Pfingstmontag sind wir von der Provinz in die echte Stadt gefahren, um ein paar Gräber zu besuchen. In der Exilantenstadt sind nämlich sehr viele Berühmtheiten begraben, (ich glaube) sämtliche Manns, James Joyce, Eilas Canetti, Paul Esterházy, Therese Giehse, Verena Loewensberg. Doch zuerst haben wir in einem der ersten Autobahnrestaurants gefrühstückt, das die Siebzigerjahre losgeworden und aufwändig renoviert worden ist.

Wir waren auf dem neuen Israelitischen Friedhof (oberer Friesenberg) und dem alten Israelitischen Friedhof (unterer Friesenberg) und haben die Gräber besucht von:

  • Mascha Kaléko (Lyrikerin),
  • Otto Klemperer (Dirigent),
  • Erwin Leiser (Filmemacher, u.a. „mein Kampf“) und
  • Felix Salten (Autor „Bambi“ und – was wenige wissen – „Josefine Mutzenbacher“)
  • Zusätzlich hat 3rd überall da einen Stein hinterlassen, wo ein Toter seines Namens begraben war, Nachnamen zählten auch.

    Dann sind wir mit der S-Bahn (oder war’s das Tram?) auf den Uetliberg geruckelt und haben vom Aussichtsturm durch Ströme von Regen aufs bewölkte Tal geschaut. Eingekehrt (wie man in der Schweiz „etwas trinken gehen“ nennt) sind wir nicht, es ist dort oben sehr vornehm und die Sonnenterrasse war ja heute keine Option.

    Müde aber zufrieden sind wir wieder im Block: Mutter bloggt und bügelt, Vater und Kind machen neben dem Nachtessen ein Pokémon-Duell. Das gibt Lebens- und Energiepunkte. Wenn kein Gegner dazwischen kommt.

    Nach Pisa nun ein neuer Schreck für die Schweiz: Wieder steht sie im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld da, tut erstaunt und ist ratlos darüber, dass jeder sechste Mühe hat, einen einfachen Text zu lesen. 16% können die Packungsbeilagen nicht verstehen und bleiben über Risiken und Nebenwirkungen im Unklaren. In der deutschen Schweiz liest und rechnet man besser, als in der welschen. Dort ist man aber stark im Problemlösen. Wer ist für diese Misere verantwortlich? Natürlich die Ausländer, meinen die Rechten. Nein, nicht nur, sagen die Linken. Bei den Bildungsausgaben dürfe einfach nicht gespart werden. Ausser Italien hat kein Land so grosse Bildungsdifferenzen zwischen Frauen und Männern wie die Schweiz. Obwohl Frauen besser lesen, schneiden sie in in der ALL-Studie (Adult Literacy and Lifeskills Survey) schlecht ab. Seit 15 Jahren wird bei der Bildung rigoros gespart, in den Schulen, der Berufsausbildung, an den Universitäten, in Bibliotheken. Ausgerechnet diejenigen, welche sich über die Ergebnisse der Studie am meisten aufregen, gehören zu den bürgerlichen Spardiktatoren.

    haben im Bahnhof Bern eine neue Alternative. Seitdem das Alki-Stübli eröffnet ist, wird viel weniger in die Ecken gebiselt. „Mister Clean“, der alleinige Herrscher über Darm und Blase in und um den Bahnhof wird deshalb einige Kunden und Kundinnen verlieren. Schon lange beklagen sich die Frauen, dass sie in diesem offiziellen Toilettentempel aus Marmorstein und Plastikpflanzen Fr. 2.- bezahlen müssen, während die Männer das Gleiche für Fr. 1.- tun können.
    Wers „pressant“ hat, darf nun gratis hinter einer der orangen Türen des neuen Aufenthaltsraums für Alkoholabhängige verschwinden. Allerdings muss im Sitzen gepinkelt werden. Darauf haben sich die Besucher des Alki-Stüblis geeinigt, und daran sollten sich auch die WC-Touristen halten.
    Denise Kräuchi, die Leiterin hat, wie mir scheint, Humor und Nerven für ihre Gäste und deren Hunde. Als Psychologin und ehemalige Swiss-Pilotin sind ihr kritische Situationen wie Absacken in einem Luftloch, schlechte Sicht, Wetterumschläge und Pannen und Turbulenzen jeglicher Art vertraut.
    Mit der Unterstützung ihrer Stammgäste wird es ihr sicher gelingen, die WC-Manieren einiger Zeitgenossen zu verbessern.

    Sollen/wollen Frauen wissen, was Männer von ihnen halten? Wenn ja, bitte weiter lesen.

    Rowan Atkinson (Mr. Bean):
    „Bigamie bedeutet, eine Frau zu viel zu haben. Monogamie ist dasselbe“

    Eminem (Rapper):
    „Es ist schon komisch, dass ein Mann, der sich um nichts auf der Welt
    Sorgen machen muss, hingeht und eine Frau heiratet“

    Nick Nolte (Schauspieler):
    “ Frauen tun für ihr Äusseres Dinge, für die jeder
    Gebrauchtwagenhändler ins Gefängnis kommt.“

    Jack Nicholson (Schauspieler):
    „Es gibt nur eines was teurer ist als eine Frau, nämlich eine Ex-Frau.“

    Charles Bukowski (Schriftsteller):
    „Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu
    integrieren.“

    Burt Reynolds (Schauspieler):
    „Solange der Nagellack nicht trocken ist, ist eine Frau wehrlos.“

    Rod Stewart (Rocksänger):
    „Man soll nur schöne Frauen heiraten. Sonst hat man keine Aussicht,
    sie wieder loszuwerden.“

    Peter Ustinov (Schauspieler):
    „Ich glaube nicht, dass verheiratete Männer länger leben als Frauen.
    Es kommt ihnen nur länger vor.“

    Mario Adorf (Schauspieler):
    „Ein erfolgreicher Mann ist ein Mann, der mehr verdient, als seine
    Frau ausgeben kann. Eine erfolgreiche Frau ist eine, die so einen Mann
    findet.“

    Bill Vaughan (Schauspieler):
    „Frauen arbeiten heutzutage als Jockeys, stehen Firmen vor und
    forschen in der Atomphysik. Warum sollten sie irgendwann nicht auch
    rückwarts einparken können.“

    (Gekürztes Mail von swa aus der Münstergasse)

    Im Gegensatz zu meinen Altersgenossinnen konnt ich mir nie vorstellen, einmal eine Mutter zu sein. Da wir drei Schwesten nur zwei Puppen besassen, wars mit dem Früh-übt-sich nicht weit her. Als Kind war ich auch der Meinung, eine Mutter dürfe sich im finsteren Wald nicht fürchten, auch nicht vor dem Käser, dem wir die Milch unserer Kühe verkauften und der uns diese immer erst mit Verspätung bezahlte.
    Ich lernte dann, nachts durch den Wald zu gehen und dem Käser furchtlos entgegen zu treten. Da war ich schon eine Mutter. Die Freunde meiner älteren Tochter nannten mich „Müeti“. So kam es vor, dass ich in der Stadt zum Erstaunen der Leute von langhaarigen jungen Männern oder jungen Frauen mit rosa Igelfrisur und Ratte im Ärmel freudig mit „Sälu Müeti“ begrüsst wurde.
    Ich weiss nicht mehr genau wies kam, dass die Kinder vom Spielplatz ein spitzes „Iiiimaaaa“ zu meinem Balkon hinauf schrieen. „Mama“ riefen die anderen, bei „Ima“ musste ich runterschauen. Inzwischen sind wieder Jahre vergangen, Ima ist geblieben und für mich zu einem zweiten Namen geworden.
    „Mütter sind das Salz der Erde,“ schreiben die Blumenfachgeschäfte im Quartieranzeiger, die heute mit Rosen, Lilien, Tulpen und diversem dekorativen Grünzeug einen grossen Teil ihres Jahresumsatztes herein holen.
    Ich finde, nicht nur die Mütter, sondern alle Frauen gehören zum „Salz“, sind lebensnotwendig und wollen sich mit Blumensträussen allein längst nicht mehr zufrieden geben.

    Albertli

    Albert, hier auf dem Arm seiner Mutter, hat mir die „Trucke“ mit seinen Fotos gebracht. Er ist der Letzte aus seiner Familie, geht auf die Neunzig zu und weiss nicht, wer sich für Bilder, Briefe und Postkarten interessieren könnte. Am liebsten erzählt er vom Aktivdienst, zeigt mir einen Brief, den ihm die Mutter 1942 zum Geburtstag ins Militär geschickt hat. Das Papier ist voller Weinflecke. Die Mutter bedauert, dass es im Dorf keine Schokolade zu kaufen gibt. Auf der hinteren leeren Seite hat Soldat Albert ein Gedicht gegen Hitler aufgeschrieben.
    Er kanns noch heute, nach mehr als 60 Jahren auswendig.

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