Do 20 Jan 2005
Sie ist neu und es wird noch einmal drei Neue geben. Denn es gibt Fall um Fall um Fall bis zum Umfall. Neu geschaffene Sozialarbeiterinnen sind gut.
Kinderzeichnungen am Schrank. Den IKEA-Schreibtisch hat sie sicher im letzten Augenblick selber beschaffen müssen dürfen. Den Drucker vielleicht auch selber (anhängen). Und das „Mobbing, nicht mit mir“- Plakat noch rasch an den Spind geklebt, die Zimmerpflanze deponiert. Ja, das Büro ist eingerichtet wie von jemandem, dem man dazu keine Zeit gelassen hat, denn die Fälle warten schon, und 3rd ist auch einer.
3rd zupft mich leise am Ärmel, nickt zu einem kleinen Bildchen über dem Billy und murmelt „vanGogh, haben wir doch auch, wo ist das nun schon wieder?“ „Psst, ein Café in Arles oder Paris oder wo auch immer.“ Bloss nichts wissen, bloss nichts, was überheblich wirken könnte, bloss nichts. Bloss mitlaufen und schweigen, und selbst das ist eine Provokation. Und gibt daraus einen Fall und das ist 3rd jetzt.
„Wir bringen dich um“. Vorsorglich weichen wir deine Hose ein während du turnst, spucken dick in deinen Schulsack und treten dir – aus lieber Gewohnheit – täglich ein paar Mal in den Bauch, beim Gänsemarsch mit der Lehrerin vorneweg abwechselnd in die Kniekehlen, bis die blau sind. Streich deine Fremdwörter aus den Aufsätzen oder wir killen dich, Fall zu Fall. Zufall. Einer bietet sich an. Andorra ist überall.
Aber es gibt schon Menschen, die uns nett finden. Solche mit Schweizer Pass und ohne, mit Doktortitel und mit Stromerkittel, Grossmütter und Kebabverkäufer, Behinderte und Sportler, Alte wie Junge. Und sogar die Sozialarbeiterin, jedenfalls hat sie das glaubwürdig vermittelt. Sie hat den Fall 3rd getestet, einzeln und in der Gruppe und beobachtet auch. Er ist nicht überheblich, er passt sich mit der Sprache an, er hält sich zurück mit Fremdwörtern. Sie sieht einen langen Weg, aber sie sieht einen.
Üben wir. Üben wir Solidarität mit den Söhnen von nebenan. Mit den überlasteten Lehrerinnen, dem Schulleiter, der für jede Situation einen Standardsatz hat. Solidarisieren wir uns mit den Traumata der Welt. Fahren wir ein wenig Lift mit ihnen. Lesen wir mit ihnen.
Rechnen wir mit ihnen.