Mo 19 Dez 2016
Herr und Frau Muthunayagam haben für diese letzte Woche vor Weihnachten 36 Maschinen Wäsche eingeschrieben. Jedes textile Fetzchen, welches Wasser verträgt, soll bis zum Fest gründlich durchgespült sein. Frau Flühmann im 20. Stock regt sich über solch massive Besetzung der Waschmaschinen heftig auf. Bei Muthunayagams sei sowieso immer alles blitzblank und dieser Ansturm auf den Waschsalon völlig unnötig.
Anfangs Dezember klebt der Hausmeister ein Merkblatt mit seinen Putzterminen in den Lift. Die Mieterinnen und Mieter werden gebeten, alle Gegenstände, die sie vor der Wohnungstür stehen haben, wegzuräumen, denn der Vorraum wird gefegt und poliert. Im Gegensatz zu anderen Mietshäusern ist es bei uns erlaubt, „Gegenstände, die den Eingang zur Wohnung verschönern“ hinzustellen.
(Selten wird in diesem Fall über Geschmack gestritten. Das triste Bild mit den braun und violett ineinanderlaufenden Spiralen, welches meine Nachbarin zwischen unsere beiden Wohnungstüren gehängt hatte, wechselte ich erst nach fünf Jahren aus nach einem längeren Gespräch mit ihr.)
Obwohl im Block ein grosser Teil der Bewohnerinnen und Bewohner nach dem Buch kein Christfest feiern, hängen jetzt an vielen Türen Weihnachtsdekorationen in Form von Kränzen, Kugeln, Glocken, Bändern, Schneemännern und Engeln. Es gibt kaum eine Wohnung, in welcher nicht mindestens ein Plastikbaum mit bunten Kerzen aufgeklappt wird.
Im Sommer achtet man kaum darauf, dass unsere Strasse nach einem der drei Weisen aus dem Morgenland benannt ist. Erst in der Adventszeit denkt die Eine oder der Andere vielleicht kurz an den König von Nubien und Arabien, der einem Stern nach ging in rotem Mantel und mit Gold im Gepäck.
Zugegeben, es ist oft anstrengend, in einem Block zu wohnen mit all den Regelabänderern, Gratisentsorgern, Balkonrauchern ohne Aschenbecher. Trotz allem würde das Leben in unserer Stadt ohne unsere Blockbewohnerinnen und -bewohner viel schlechter funktionieren.
Wer würde Regale auffüllen,
an Kassen sitzen,
Toblerschoggi einpacken,
Tausende Eier in Kartons abfüllen,
Strassen, Messegelände und andere Dreckecken reinigen,
Gartenanlagen, Kranke und Alte pflegen,
Wäsche und Tote waschen,
Tonnen von Pastik zum Recyclen fahren,
Autos reparieren,
rund um die Uhr in Hotelküchen, Takeaways, Gaststätten arbeiten,
den Glockenturm mit den passenden Lochkarten versorgen,
die YB-Wurst pünktlich parat halten??
Danke!
Eben höre ich die traurigen Nachrichten aus Berlin.
Dezember 20th, 2016 at 21:23
Wiedermal ein sehr schöner, passender Dank. Das hier ist Bern-West, genauso leben wir. Und jetzt grad, weil’s die Weltlage erfordert,
besonders tolerant ud dankbar und nur wenig verärgert oder gar wütend.