Sa 24 Mrz 2018
(Draussen ein paar „kahle“ Zweige schneiden und zu Hause erblühen lassen)
Vor einigen Tagen fiel mir die Brille von der Nase. Dann klemmte auch noch der Verschluss meiner teuren Uhr (Geschenk von den Kindern).
Also setzte ich die alte Reservebrille auf, zog mich warm an und fuhr in die Stadt. Das Optikergeschäft hatte sich in meiner kurzen Abwesenheit von einem lichten, modernen Laden in eine Art polierte Sennhütte verwandelt. Es roch nach Sägemehl und Harz. „Wir haben ein neues Gesicht“ war gross und fett an der Glasscheibe zu lesen. Auf massive Holzpflöcke waren erdfarbene, afrikanische Männermasken arrangiert. Vor jedem Pfahl lag eine Brille. Ich trat an die hölzerne Bar und wurde gleich bedient. Nein, die Brille könne man nicht flicken, man müsse einen neuen vorderen Teill bestellen. Mein erster Gedanke: Ups, das wird nicht billig. Zum Glück hatte ich noch eine gültige Versicherung.
So schnell wie möglich verliess ich die künstliche Gemütlichkeit und trippelte vorsichtig durch die verschwommene Welt mit gefährlichen Strassen Richtung Spitalgasse. Das Uhrengeschäft war zum Glück auch sehr gross angeschrieben. Die Uhr könne nicht an Ort und Stelle repariert werden, da man diese Spezialstiftchen nicht am Lager habe.
Im Orangen Riesen, wo ich nach einer Osterhenne suchte, war auch alles umgestellt worden. Rechts beim Eingang wartete eine Reihe Chromstahlschalen mit warmen Speisen samt to-go-Dosen auf Hungrige aus Schulen und Büros. Ich wunderte mich kurz darüber, dass im meist frequentiertesten Geschäftsbereich in Magenhöhe offenes Essen angeboten werden darf. Osterhuhn fand ich keins, nur Türme von Hasen. Die Hennen sind verschwunden, zusammen mit anderen Vögeln.
Nachdem ich mich bei Loeb mit Maschinennadeln für Tricot, Hosenelastik und Flickstoff zum Aufbügeln eingedeckt hatte, suchte ich in der Schoggiabteilung nach einem Huhn, bekam aber nur ein in rosa Folie eingeschweisstes Mini-Küken angeboten.
In der Côté Sud traf ich mich dann zum Kaffee mit dem ehemaligen Buchhalter der Institution, in welcher ich lange Jahre gearbeitet habe. Der Mann ist eigentlich ein Forscher, hat schon viel Neues zur Biografie von Mark Twain heraus gefunden. Heute war aber nicht Mr. Clemens unser Thema. Bei Kaffee und Gipfeli wurde ich gebeten, an den Rentner- und Rentnerinnentreffen teilzunehmen. Es würde alle freuen, die Pensionierten des Kaders, der Verwaltung, des Hausdienstes, die Buchbinder, die Fachreferenten und -referentinnen, die Bibliothekare und Bibliothekarinnen. Ja, Gottliebduttweiler, welche Ehre! Natürlich versprach ich, wieder einmal zu kommen.
Im Tram las ich die Zeitung. Ausser dem Tipp zur Hundezahnpflege leider nichts Erfreuliches. Uuu nein, das neue Sportlertraumpaar GutBerah machte mir keine Freude. (Verstehe, wer will: ich werde laaange auf Ragusa verzichten).
Auf dem Weg zum Block begegnete ich einer Nachbarin. Letztes Jahr wurde sie operiert. Man hob ihr das Herz aus dem Brustkasten. Alles wäre gut, hätten die Spezialisten nur die Rippen nicht schräg zusammengesetzt wie eine falsch zugeknöpfte Jacke. Aufsägen lasse sie sich nicht mehr, schon wegen der Spitalkäfer, welche man im Schwick einfangen könne, und dann sei es sowieso aus.
Ihre Physiotherapeutin versuche nun in winzigen Schritten, auf der linken Seite die zusammengedrückten Rippen so zu lockern, dass die rechts nicht mehr auseinander klaffen.
Noch lange sah ich ein pochendes, blutiges Herz in einer Schale vor mir und diese unordentlichen Rippen unter der vernarbten Haut.
Aber dann kamen zum Glück die Kleinkrähen, hatten Hunger, wollten aufs Klo, mussten Hausaufgaben machen, sich für den Sport umziehen, ein bisschen streiten …