Voralpen

(Foto: Nünenen und Gantrisch am 19.04.20, 07:25 von 16. Stock aus fotografiert)

Wir lassen Sie nicht allein steht in dem Brief, den ich vergangenen Donnerstag von der Berner Direktorin für Bildung, Soziales und Sport bekam.
Seit mehreren Wochen halte das Coronavirus die ganze Welt in Atem. Ich, als Seniorin, gehörte zu den besonders gefährdeten Personengruppen und müsse besonders Sorge zu mir tragen und den Kontakt nach draussen telefonisch, per E-Mail oder brieflich pflegen, eine Post gäbe es schliesslich ja noch.
Bei meinem eingeschränkten Radius könne ich zwei Telefonnummern in Anspruch nehmen: 1. für Hilfsangebote, 2. für Gesprächsbedarf. Ich nehme mir vor, den „Gesprächsbedarf“ mal „in Anspruch“ zu nehmen.

So einen Schrieb zu erhalten, nachdem ich auf meinem Kapselkalender schon die fünfte BleibenSiezuhause-Woche beende, finde ich absolut deprimierend!
Wie die Jungen von der SP Bümpliz-Bethlehem muss man es machen und zwar gleich am Anfang des Lockdowns in möglichst vielen Sprachen. Danke Nicole, Chandru und MithelferInnen!

Wahrscheinlich eine altmodische Déformation professionnelle: Ich lese oder überfliege jeden Fötzel, der in meinem Briefkasten landet. Auch die Domicil Zeitung – Erste Zeitung für Leben und Wohnen im Alter kommt nicht gleich ins Alt-Papier. Wenn mir nach dem oben erwähnten Brief noch ein bisschen Licht aEdT geblieben ist, verflüchtigt sich dieses sogleich und zurück bleibt ein finsteres Loch. Ein Psychologe erklärt mir auf einer Doppelseite, wie ich rechtzeitig Stück für Stück meiner Habe aussortieren soll. Dazu gibt es ein Bild: Auf einer Leiter vor dem Büchergestell steht ein alter Mann – lächelt oder weint er – und hält einen Modellrennwagen in der Hand. Es sei befreiend, sich von Besitz zu trennen. Loslassen könne man im Alter noch lernen. Der Psychologe spricht dann die unzähligen Messis in der Risikogruppe an, wie diese das Entschlacken aufschöben, bis sie im gehorteten Besitz rettungslos untergingen.
Hätten meine Kinder nicht gesagt, dass ich mich nicht ums Aussortieren kümmern müsse, ich würde jetzt auf der Leiter stehen und meine Modellauto-Sammlung käme in die Kiste „Brockenhaus“.

Wenn es so kommt, dass die Alten bis Weihnachten zu Hause bleiben sollen, ist für solche „Befreiung“ noch viel Zeit.
Ich finde es heuchlerisch, so zu tun, als ob man die „besonders gefährdeten Personengruppen“ um ihrer selbst willen schützt. Es geht doch darum – verständlicherweise – dass die Alten nicht in Scharen Spitalbetten, Beatmungsgeräte usw. besetzen.

Im Orangen-Riesen-Magazin (in sehr geschrumpftem Umfang) ist gerade die 15%-Aktion Gelassen und stark durch den Tag angesagt: Sprays, Tropfen und Pastillen aus Heckenrose, Gelbe Weide, Gemeiner Odermennig, Espe, Zitterpappel, Rotbuche, Tausendgüldenkraut, Bleiwurz, Kirschpflaume, Doldiger Milchstern und viele mehr. Damit bekomme man Alltagssituationen wie wichtige Meetings, Prüfungen oder Reisen besser in den Griff. (Ah, deshalb die Prozente, weil im Moment nicht allzuviele Meetings, Prüfungen oder Reisen anstehen.) Ich nehme Schwarzkümmelöl, darauf schworen schon die Pharaonen.

In meiner Tageszeitung lese ich einen Artikel über die USA: Menschen hungern, während die Ernte verfault. Nur mithilfe der Nationalgarde könne Amerika die mehr als 50 Mio Bedürftigen mit frischer Nahrung versorgen. Millionen von Tonnen Agrarprodukte landeten wegen fehlender Transportmöglichkeiten im Müll. In San Antonio TX habe sich eine Warteschlange von 10’000 Autos vor einer Food Bank mit frischem Gemüse gebildet. (Der Bund, 16.04.2020, S. 11)