Mo 29 Okt 2007
Seit einigen Wochen lebt Albert im Pflegeheim, nicht allzu weit weg von seinem früheren Zuhause. Einen weiteren Winter hätte der 92jährige allein im alten Bauernhaus nicht geschafft. Schon wegen der anstrengenden Heizerei. Ausserdem hatten die von ihm heiss geliebten und verwöhnten Katzen längst die Herrschaft über seinen bescheidenen Haushalt übernommen, frassen ihm Teller und Pfannen leer und hatten sogar gelernt, die Milch aus dem Beutel zu trinken, wenn ein Strohalm drin steckte.
Albert gehört schon seit Jahren zu den Samstags-Gästen meines Vaters. Nachdem ich ihm vor Jahren die alten Fotos geordnet hatte, schauen wir sie immer wieder zusammen an. Er sei froh, dass ich alles geordnet und angeschrieben hätte. Es wäre sonst sicher verloren gegangen, meint er. Albert nimmt seine Brille aus der Chuttebuese, um das Foto, welches man beim Abbruch seines Bienenhauses gefunden hatte, genau zu betrachten. Es zeigt seinen Onkel Fritz, die Grosseltern Christian und Maria und rechts aussen seine junge schöne Mutter in einer weissen Bluse vor dem Bauernhaus.
Zwei Bilder trägt Albert immer bei sich: eine Ansicht seines kleinen Dorfes aus den dreissiger Jahren und dasjenige einer Theatergruppe, aufgenommen vor dem „Bären“. In der vordersten Reihe sitzt Marie, die Frau seines Herzens.
Hätte er sie doch damals vor siebzig Jahren nur angesprochen, als sie auf einer Reise nach Goppenstein im gleichen Abteil sass. Seine Kameraden hatten ihn noch ermuntert, aber ihm sei das zu „stotzig“ gekommen und wieder habe er, wie eigentlich immer in seinem Leben, eine gute Gelegenheit verpasst.
Dass das Brillenglas zersprungen ist, stört ihn nicht, er hat das Gefühl, jetzt sogar besser zu sehen.