Nach 36 Stunden zuhause, unternahm ich mit meinem Töchterchen unseren ersten Blockspaziergang.

Zuerst klingelte ich bei unseren direkten NachbarInnen. Sie sollten als erste wissen, welches Hämpfchen Mensch sie weinen hören werden. Alle begrüssten sie freudig, sprachen mit hohen und melodiösen Stimmen, machten grosse Augen und versicherten uns, dass wir ganz bestimmt niemanden stören. Sie seinen sowieso bald in den Ferien. Letztes Jahr seien sie gerade von Ägypten abgereist, als es den Bombenanschlag gab und wegen dem Flüssigsprengstoff vermeiden sie das Fliegen sowieso. Deshalb verreisen sie „nur“ ins Tessin.

Mein nächstes Ziel war ein Besuch in der Waschküche. Frau Sch., eine treue Pflanzengiesserin für Ferienleute, empfing mich überglücklich zu den ersten zu gehören, die das Bebe sehen. Sogleich fragte sie nach meinen Schwiegereltern. Nein, niemand habe sich gemeldet. Frau Sch. bemerkte, ich sei halt kein „Moslem-Froueli“, woraufhin ich kurz erklärte, dass das Verhalten meiner Schwiegerfamilie nichts mit dem Islam zu tun habe. Dann fragte sie, ob ich die zwölf verschleierten Frauen mit den zwanzig Kindern auf dem Spielplatz gesehen hätte und was bloss aus unserem Block werde, wenn kaum mehr Schweizer da wohnen. Ja, ich hätte die Libanesinnen gesehen und ich fände es wichtig, dass sie draussen einen Platz gefunden hätten, um zusammen zu sitzen. Damit verabschiedete ich mich.

Danach wollte ich die Neugierde der uralten urschweizer Frau R., Mutter des ehemaligen Hauswarts, stillen. Bisher verhielt sie sich meinem eingebürgerten Mann gegenüber respektlos und böse. Anstatt ihr mit Wut entgegenzutreten, hoffe ich, sie mit bemitleidender Herzlichkeit erweichen zu können. Leider ist sie in den Ferien und eine andere uralte Urschweizerin öffnete mir die Tür. Diese verbringe drei Stunden täglich mit Frau R.’s Katze; ihr Mann sei vor einem Jahr gestorben; ob ich ihre Wohnung anschauen wolle.

Erneut betrat ich mit meinem Töchterchen den vom Hauswart polierten Lift und fuhren vom 16. Stock ins Erdgeschoss. Dort gratulierte mir im Vorbeigehen ein seine-Kinder-suchender-Vater. Draussen vor der Tür kam ein verschwitzter Herr M. vom Jogging aus dem Wald. Wie es uns ginge, was ich mache? Ich sei gekommen, ihm meine Tochter vorzustellen. Er lachte und beglückwünschte uns. So setzten wir unsere Runde um den Block fort.

Bei den Briefkästen traf ich eine Albanerin, die gerade von der Arbeit kam. Ich kramte mein mickriges Albanisch zusammen und stellte ihr die üblichen Fragen. Sie freute sich und bemerkte sofort die grosse Ähnlichkeit zwischen Kind und Vater. Schlussendlich sagte sie etwas, wovon ich nur Kaffee, Wohnung und Glückwunsch verstand und wir verabschiedeten uns. Später klärte mich mein Mann auf, dass sie in unsere Wohnung eingeladen werden wolle, damit sie auf der Untertasse des ausgetrunkenen Kaffees Geld für unser Kindlein liegen lassen könne. Auf der Südseite des Blockes hörte ich dann, wie die von der Arbeit kommende Albanerin Wort für Wort unser Gespräch wiedergab. Dass ich niemanden sah, lag daran, dass der lauschende Ehemann in seinem Bett auf dem Balkon lag, wo er den ganzen Sommer verbracht hatte.

Inzwischen haben wir schon weitere Blockspaziergänge gemacht. Kaum vorstellbar, wie lange ich zwischen Beobachten, Windeln wechseln, Stillen, Kind baden, Bewundern, Hebamme, Besuch und der eigenen Körperpflege gebraucht habe, diesen endlosen Bericht zu verfassen.