Maisbart

Mit zarten Maisbärten fächelt der Sommer uns zu: Adieu.
Letzte Kletterrosen, ein paar Stängel Mangold, eine Handvoll Tomaten und späte Schnecken im Winterspinat.
Wieder einmal besuche ich meine ehemalige Schulkameradin. Obwohl sie nur drei Minuten auf der anderen Strassenseite wohnt, sehe ich sie selten: wie ich, eine Grossmutter mit einem Nest Kleinkrähen. Ich solle unbedingt zum Kaffee kommen, seien doch endlich die neuen Fenster eingesetzt. Auch das superschönpassende Sofa und den Relax-Sessel müsse ich testen. Ich bringe eine Dose Fleur de sel und ein kleines Glas Aprikosenkonfi, die ich in Frankreich eingekocht hatte. Der Hausherr kommt aus seiner Studierstube und wirft die Kaffeemaschine an, fein. Draussen regnet es in Strömen. Das Salz gibt uns ein Gesprächsthema: die Vogelwelt der Camargue. Bald schon stelzt, segelt, äst, flattert, taucht, nistet es auf dem grossen Bildschirm im Wohnzimmer: Säbelschnäbler Avocette élégante, Uferschnepfe Barge à queue, Schafstelze Bergeronnette printanière, Seidensänger Bouscarle de Cetti, Mittelsäger Harle huppé, Goldregenpfeifer Pluvier doré, schon die Namen sind beeindruckend. Meine Schulkameradin schickt mir später eine Liste mit allen französischen Vogelnamen. Erklärt mir in den nächsten Sommerferien ein angefressener Hobbyornithologe aus dem Norden z.B. den putzigen Seeregenpfeifer, sage ich lässig: „Gravelot à collier interrompu.“

Die nationalen Wahlen sind vorbei. Meine GenossInnen sind vordüre recht gute VerliererInnen, reichen den HochhinausgewinnerInnen die Hand, schliesslich wurden die Linken und die Frauen gestärkt. Rot und das sieghafte Grün arbeiten ja allermeistens eng zusammen. Mich wurmt es schon, dass meine Partei zwei Sitze im Nationalrat abtreten musste. Obwohl kein Grün im Namen, hat sich die SP schon immer – unter vielem anderen – für den Schutz der Umwelt eingesetzt.
In meinem Quartier jedenfalls war „Grün“ bis jetzt völlig unsichtbar. Die Knochenarbeit leisten hier die Roten. Danke!

Damit die Jungbären in Zukunft nicht wieder nach Bulgarien auswandern müssen, will man ihnen in der Gantrischregion ein artgerechtes Revier zur Verfügung stellen. Ich werde wohl nicht mehr erleben, dass die Einheimischen den Berner Mutzen Gastrecht gewähren. Würden sie dürfen können, sagte mir ein einheimischer früherer Schulkollege, ginge es Wölfen und Asylanten an Fell und Kragen. Für die Aussiedler aus der Stadt sehe ich schwarz, denn auch ihnen könnte eins auf den Kragen den Pelz gebrannt wollen werden.

Auf dem Kalenderblatt der vergangenen Woche ist die Malerin und Bildhauerin Clara Westhoff mit ihrer kleinen Tochter Ruth abgebildet. Mutter und Kind schauen ernst aus der Fotografie. (Wahrscheinlich wandert der Ehemann und Vater gerade unruhig in irgendwelchen Alleen hin und her, wenn die Blätter treiben. Hoffentlich schreibt er Clara und Ruth wenigstens einen Brief).

Meiner Nachbarin packe ich eine Tasche mit Büchern. Arabisches Beben – Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten will sie lieber nicht mitnehmen in das magrebinische Dorf am Meer. Wer weiss, wer da noch alles in die Tasche schaut. Auf das Lesen, das tägliche Waten im Salzwasser, die Meerluft und das milde Klima freut sie sich sehr. Schliesslich ist der Schweizer Winter im Unterland oft grau und nass. Viel Zeit wird meine Nachbarin zum Wasserholen brauchen, denn meist bleiben die Leitungen trocken. Im Dorf wird zwar rege gebaut, besonders für die SurferInnen (Surfspot) aus aller Welt, aber fliessendes Wasser ist mehr als Mangelware – einfach nicht vorhanden. Auch das Holzsammeln für das tägliche Tajine erweist sich als äusserst anstrengend, gibt es doch in der ganzen Gegend keinen Baum. Wenn meine Nachbarin wieder zurück in Berns Westen kommt, hat sie stets eine Handvoll spannende Dorfgeschichten im Gepäck.

Schockierend ist die Vorstellung, wie wir jede Woche eine Kreditkarte verspeisen. Da nützt alles Waschen nichts.

Täglich werden wir hier im Quartier mit den Schrecknissen draussen in der Welt konfrontiert. Hautnah erleben wir, wie Gewalt, Angst, unfassbare Gräueltaten Menschen verrücken, aus Opfern Täter machen, die ihre Familien drangsalieren. Wie schwierig es ist, Unterstützung zu leisten, wissen wir seit Jahren. (Wer Dankbarkeit erwartet, tut am besten gar nichts.) Dass meine Familie trotzdem Hilferufe, besonders, wenn sie von Frauen und Kindern kommen, nicht ignoriert, hängt mit der Zukunft unserer eigenen Kinder zusammen – so im Sinn von Vorbild.