Mi 25 Mai 2005
“ … wo um Himmels Willen ist Lüderen?“ fragt mich eine Freundin, der ich von dem geplanten Familienausflug erzählt habe. Lüderen ist eine Alp im tiefsten Emmental. Auf die Frage: „Wohin gehtst du?“ antworteten wir als Kinder: „Uf d’Lüdere, ga Tee südere u äne ache pfüdere“. Ein enges Strässchen, zwischen Nagelfluh und Wildbach, führt hinauf auf die Alp. Es ist Bergfrühling und der Weg gesäumt mit Blumen, die ich schon lange vergessen hatte. Man fährt durch Gotthelf-Land mit Bauernhöfen, Stöckli und Speicher, die an den steilen Hängen kleben oder auf einem Hügel thronen.
Ab und zu ein Sägewerk oder eine Käserei. Das Simmentaler-Fleckvieh ist nicht mehr unter sich wie früher, käut wieder mit Freiburgerschecken und Grauen. Erreicht man nach vielen Kurven die Lüderen, hat man einen wunderbaren Blick über Wälder und tiefe Täler, hier „Chrächen“ genannt.
Was ein „Lüderen-Galgen“ ist, erklärt vielleicht jemand, der dabei gewesen ist?
(Nach einem Wochenende mit so viel „Gegend“ zieht es meine Familie wieder in die Stadt, fertig Idylle, zurück in den Block – dabei haben sie ihre Wurzeln zwischen Schwarzwasser, Lauterbach und Emme!?)
Mai 26th, 2005 at 08:39
Vielen Dank für den Lüderen-Eintrag. So habe ich sie jetzt ganz gut einordnen können in die Berner Geographie.
Und schon nach einem Wochenende zieht es euch wieder heim? Bei dem Panorama? Habt ihr denn auch alles wirklich lang genug gekuckt? Ich werde dich unbedingt über das Fleckvieh und die Schecken ausfragen wollen. Die Kühe sind mir noch allzu oft unheimlich.
Mai 26th, 2005 at 14:04
Mir werden eigentlich mehr die Bauern unheimlich, die ihre Kühe so „verzüchten“, dass sie „Gstältli“ eine Art Halter tragen müssen, weil das Euter so schwer ist. Das gibt es auch im Emmental. Wir haben genau gekuckt! Hätten euch von Kambly einen Sack „Bruch“ mitgebracht. Leider war der Laden nicht geöffnet.
Mai 26th, 2005 at 23:27
Der Lüdere-Galgen ist ein schmiedeisernes Konstrukt, mit der typischen umgekehrten L-Form, gefertigt aus spiralig verdrehtem, geschwärtzen Vierkantstahl von ca. 10mm Kantenlänge. Anstelle des Stricks baumelt an einer Kette der Fleischträger, eine Art Morgenstern, auf dessen Stacheln verschiedene gebratene Fleischstücke aufgespiesst sind.
Der Fuss besteht aus einem rustikal bearbeiteten Holzbrett mit einer grösseren und 4 kleineren Öffnungen. In ersterer, mittig unter dem Fleischträger platziert, steht eine kleine Schüssel, die in unserem Falle mit Reis gefüllt war. Das ist sehr praktisch, weil eventuell heruntertropfender Fleischsaft so aufgefangen wird. In den vier kleineren Öffnungen ebensoviele Schälchen mit Sösschen.
Der Galgen ist wohl an die 50cm lang, 30 breit und 50cm hoch.
Ach ja, fast vergessen: beim Servieren wird der Morgenstern samt Fleisch mit Rum übergossen.
Die auf der Speisekarte erwähnten „Galgenstrickli“ haben wir leider nicht erhalten. Ich bin nicht sicher, was das ist, es handelt sich eventuell aber hier um einen „ruralen Diminutiv“ (einen rhetorischen).
Mai 27th, 2005 at 00:29
Bin nächstes Jahr bei einem solch ländlichen Ausflug zu meines Schwagers 35. Geburi sofort wieder dabei, schliesslich haben wir alle anscheinend die Wurzeln irgendwo zwischen Kuhfladen und schattigen Steilhängen. Das Nachhause kommen letzten Sonntag war schon speziell schön. Mir scheint einfach das Land ein bisschen unheimlich. In den gotthelfschen Häusern erhängen sich Bauern, werden Kinder missbraucht oder Kühe gev… Nein, lieber bin ich im Block, da schaut die Verwaltung, dass die Familie nicht einen Hauseingang besetzt und plötzlich die eigenen Regeln das allgemeingültige Gesetz übertrumpfen. Dennoch war es spannend, denn wir konnten einfach durch diese Chrächen fahren und mussten nicht aussteigen. Mein Schwager hatte nämlich Angst, dass ein Hinterfultiger mit der Schrotflinte käme …
Die Lüdere ist empfehlenswert, das Essen war vorzüglich und die Zimmer waren sehr gemütlich. Merci für die Einladung, der Ausflug hat sich gelohnt, das müssen wir wieder machen! Gute Nacht*
Mai 27th, 2005 at 10:54
@2nd2nd: Sind denn die Hinterfultiger ins Emmental ausgewandert? Oder habt ihr einen grossen Umweg durch den Schwarzwassergraben genommen? Im Mai ist dieses Völklein sehr friedlich. Da nimmt es die verschwitzten Winterzeitungen aus den Stiefeln und öffnet den untersten Hemmlisknopf, damit die Frühlingsluft einziehen kann.
Mai 27th, 2005 at 15:20
@2nd, male: Ich habe recherchiert und zum Thema „Galgenstrickli“ folgendes Mail von der Lüderenalp bekommen:
Sehr geehrte Frau M.
Besten Dank für Ihr Mail. Mit Freude hören wir, dass Sie sich bei uns
wohlgefühlt haben. Das Galgenstrickli gilt als Souvenir oder man kann
Sie auch sammeln und ab 20 Stück erhält man einen Lüderen-Galgen zum halben Preis.
Kann es vielleicht sein, dass Sie keine erhalten haben, Sie haben
doch 2 x Galgen gegessen oder? Falls dies so sein sollte, teilen Sie uns
dies mit und wir werden per Post 2 Stück senden.
Mit freundlichen Grüssen
i.A. Beatrice Oppliger
Mai 27th, 2005 at 15:54
Der Beitrag zum Lüdere-Galgen ist grossartig. Ein Eintrag in der Illustrierten Berner Enzyklopädie wäre nichts als recht. Habt ihr „Fotone“ gemacht?
Und dem „Schwager“ gratuliere ich nachträglich zum Geburtstag und wünsche alles Liebe und Gute und Schöne zum 35.
Mai 27th, 2005 at 16:24
Galgen wurde fotografiert! Wenn er gut kommt, werden wir ein Bild veröffentlichen. Auf das Strickli warten wir gespannt.