Mi 10 Aug 2005
Vor zwei Jahren ist meine Freundin gestorben.
Sie war Lektorin und Kummermutter zahlreicher schreibender und malender KünstlerInnen. „Rosmarin“, wie sie von einem bekannten Maler genannt wurde, hasste selbst im kältesten Winter warme Jacken, Mäntel und Schuhe. Als ich ihr einen Schal aus pistaziengrüner Alpakawolle strickte, legte sie diesen in den Kofferraum ihres Autos zu den Büchern, dem Hundefutter, den Sämereien aus ganz Europa, der Ralf-König-Uhr, den Süssigkeiten und den Spielsachen für die Kinder ihrer Freundinnen.
Rosmarin liebte Tiere über alles und konnte keines leiden sehen. Als sie auf der Strasse einen Bauern seinen jungen Esel schlagen sah, kaufte sie ihm das Tier ab, besorgte eine Milchflasche, stellte den putzigen Grauen mit den Hinterbeinen auf den Notsitz des Sportwagens, legte sich seine Vorderbeine über die Schultern und fuhr, unbehelligt von sämtlichen Grenzwächtern, von Kroatien in die Schweiz.
(Der Esel wurde von Dorfpfarrer aufgenommen.)
Für den zugelaufenen Hund „Nablus“ (genannt nach der 1967 verdunkelten westjordanischen Stadt), bezahlte sie die teure Reise von Israel in den Aargau.
Auf einer nebligen südfranzösischen Nebenstrasse hielt sie einmal an, um einem Familienzirkus, dessen Kamele, Zebras und Lamas in einem Obstgarten weideten, eine Futter-für-die-Tiere-Geldnote und einen Kilosack Früchtebonbons (aus dem Kofferraum) für die Kinder zu geben.
Neben den Vierbeinern wurden auch Bücher von Rosmarin gerettet. Diese türmten sich an den Wänden in ihrer Wohnung, umrahmten das Bett, wurden auch zu „Möbeln“, und jedes hatte seine eigene Geschichte.
Kurz vor ihrem Tod bat sie mich, für die Bücher zu sorgen, denn die Verwandten wollten nichts von dieser „Morerei“ wissen, hatten damit gedroht, alles in den Müllcontainer zu schmeissen.
Zusammen mit meinen Kindern versprach ich, dies zu verhindern.
Kaum war Rosmarin beerdigt, kamen die Leute vom Dorf mit Wäschekörben und schleppten die Bücher, die ihnen gefielen ab. Die Verwandten hatten sich so den Container erspart.
Aus dem Rest habe ich mit meiner Familie eine Rosmarin-Gedenk-Bibliothek zusammengestellt.
Manchmal greife ich ein Buch heraus, eines mit Hundekratzspuren oder einem verblassten Kaffeefleck und merke, wie sehr sie uns fehlt.
August 11th, 2005 at 15:19
Das Schlimme ist ja, dass diese Banausen immer Sammlungen auseinanderreissen. Furchtbar.
Aber ein schlechtes Gewissen brauchst du nicht haben, wir haben alles versucht, was wir versprochen hatten. Und kaum wollten wir anfangen, war all das, was die Banausen vorher „Müll“ nannten plötzlich wertvoll und wurde Tag und Nacht abtransportiert. Aber ich weiss gar nicht, ob man Bücher wirklich wegnehmen kann.
They just belong to someone.