Fr. 8 Feb. 2008
Mein Lieblingswort seit vierundvierzig Jahren teile ich mit dem mir unbekannten Etgar Keret (*1967). Es ist das jiddische und auch im Ivrith benutzte Wort „Balagan“. Steht bei mir alles aufgetürmt in Gängen, Zimmern und auf Tischen, muss ich diesem Zustand nur den liebevollen Namen „Balagan“ geben. Ich sehe dann einen Besen „Balai“ und einen Garten „Gan“ vor mir und das Chaos ist bereits gebändigt. Falsch zu denken, man würde nach drei Stunden etwas von meiner Aufräumerei sehen, denn ich habe für jedes fremde Auge unzugängliche Ecken geputzt. Die Reisetaschen im hintersten Kämmerli sind nun abgestaubt, die Wollknäuel der Farbe nach sortiert und mit einem Sandelholzherz gegen Motten versorgt. Das Putzmittel fürs Bad ist nachgefüllt und die Musikdose von Kleinesmädchen geleimt. Auch der Filter zuoberst im Dampfabzug der Küche ist ausgewechselt. In einer Schuhschachtel treffe ich auf alte Musikkassetten, muss ein bisschen probieren, bis ich einige davon abspielen kann: Mercury/Caballé Barcelona – laut. Dann „Andorra“ als Hörspiel und zwischen Tom Paxton, Nama Hendel und Franz Hohler „Der Unfall von Kehrsatz“ in drei Teilen. Also auch in der Schachtel herrscht ein grosser Balagan.
Zum Verzweifeln, gäbe es mein Lieblingswort nicht.
(Der französische „balai“ und der hebräische „gan“ ist meine persönliche Kombination. Das Wort „Balagan“ komme ursprünglich aus dem Russischen.)
Februar 9th, 2008 at 22:56
Ungefähr das (also nicht gerade bis zu den Paxton-Kassetten) habe ich gedacht, als ich Kerets Liebelingsworterklärung im Folio gelesen habe. Ich kannte das Wort irgendwoher 🙂
Januar 19th, 2022 at 04:03
Gerade bin ich auf Etgar Kerets „Balagan“ gestossen. Zwar 14 Jahre nach deinem Kommentar, liebe 2nd, female, aber immer noch lesenswert:
Balagan, a word that immigrated to the Hebrew language from Yiddish, means „total chaos.“ But this word is unique, because contrary to the implied negative value the concept has in other languages, the subtext of balagan is positive. True, that positiveness is not overt—a bit like a proud parent trying to hide a smile from his mischief-making son—but it is completely there. But chaos for a society that is itself full of balagan is nothing less than proof of vitality and passion. In a place where people push and shove in line, where children insist on drawing on walls and not on paper, where a briefcase holds stained income tax reports lying between a pastrami sandwich and a piece of graph paper with the beginnings of a poem on it, that’s where you’ll find human liberty, the liberty that both Yiddish and Hebrew have always held sacred.