Mo 21 Nov 2005
Vier absolut subjektive und nicht wertfreie Erzählungen über hier im Block und um Dayton herum geborene Jungs balkanesischer Herkunft:
3rds Freund D. seit Kleinstkindertagen, entstammt einer Mischehe einer katholischen Kroatin und eines muslimischen Bosniers. Er hat eine kleine Schwester und sein Vater verspielte vor fünf Jahren nicht nur alles, was die Familie besass, sondern verschuldete die Familie zusätzlich auf eine halbe Million. Die Mutter fand in der Folge den Weg zurück zur Kirche und wurde jetzt geschieden. Sie wohnen in einer Blockwohnung, bezahlen die Hälfte der Schulden ab, die Mutter arbeitet im Spital, D. ist Mitglied im Fussballclub, seine Schwester im Kunstturnverein, beide haben gute bis sehr gute Schulnoten. Ihr Aufenthalt in der Schweiz ist nicht gesichert, aber die Chancen für eine Einbürgerung der Kinder stehen gut.
3rds Nachbar M. seit Kindergartentagen entstammt einer serbischen Ehe. Die Mutter ist sehr nett und arbeitet immer irgendwo. Der Vater ist ein bärbeissiger Taxifahrer. Jeden Samstag fahren Vater und Sohn zum serbischen Vereinslokal am Rande des Rotlichtmilieus, wo auch der spanische Club liegt, bei dem 3rd Flamenco tanzt. Die beiden Jungs nicken sich nur von weitem zu, sie mögen einander nicht besonders. 3rd wirft M. Hinterhältigkeit vor, M. wirft 3rd Überheblichkeit vor. Seit 2nd, male, M. zum permanenten Spucken in 3rds Hut herzlich gratuliert und ihm öffentlich die Hand geschüttelt und gedankt hat, hat sich immerhin dieses Problem entschärft. M. lernt im Vereinslokal den serbischen Volkstanz so wie das Volksliedgut kennen, im Fussball hilft er immer den Orthodoxen. Die Schule mag er nicht besonders, im Fussballclub ist er auch, aber im Zweifelsfalle entscheidet er sich fürs Gamen. Zusammen mit seinem Vater pflegt er eine grosse Sammlung von Ego-Shootern. Und Schweizer werden will er noch nicht.
3rds ehemaliger Schulkollege A. entstammt einer mazedonisch-ägyptischen Mischehe, die den muslimischen Glauben sehr hoch hält, die Männer in der Familie verpassten noch nie ein Freitagsgebet. Der Vater ist Übersetzer (Arabisch/Türkisch/Albanisch) und Schneider und engagiert in einem Arbeitslosenprojekt. A. ist ein sehr begabter Zeichner und wäre ein ausserordentlich guter Rechner. Er und sein grösserer Bruder gehören zu dem Opfern von 9/11. Seit diesem Anschlag hat der Vater sämtliche Integrationsbemühungen abgebrochen, die Mutter sieht man allerhöchstens einmal im Jahr draussen, wenn sie in Begleitung der Söhne, die ins Arabische übersetzen, zum Arzt geht. Sie verlässt die Wohnung sonst nur, um das Flugzeug nach Kairo zu besteigen. A. verbringt sein Doppelleben zwischen dem frommen Anstand zu Hause und dem gefährlichen Mitläufertum draussen relativ unbeteiligt. Während sein Vater mich auf offener Strasse wegen Anzeige gegen seine Söhne „gestellt“ hat, reagiert A. darauf nicht merklich. Er mag es nicht zu kommunizieren, spricht nur ungenügend Deutsch und droht so auch den Faden zu seinem genialen Fach Mathematik zu verlieren.
3rds Kollege E. (seit Säuglingstagen, sie haben den gleichen Geburtstag und –ort) ist einer von drei Söhnen einer Schönheitskönigin aus Pristina und eines doppelt so alten Albaners aus ihrer Nachbarschaft. Der Vater ist invalid, die Mutter arbeitet seit Neuem als Putzfrau. Vor einem Jahr konnten sie sich ein kleines Auto leisten, das die Kinder täglich auf dem Parkplatz umarmen und jederzeit mit ihrem Leben verteidigen würden. E. wurde trotz gegenteiliger Empfehlungen (auch von mir, ich lernte einmal in der Woche mit ihm Deutsch) und grossen Defiziten normal eingeschult, der Vater akzeptierte keine Zurückstufung seines Sohnes. Auch schickte er ihn immer länger als die Ferien dauerten in den Kosovo zum Tiere hüten. Die Erstklasslehrerin von E. überzeugte ihn schliesslich, indem sie sich schlicht weigerte, den Sohn zu unterrichten und indem auch den Gesuchen um Ferienverlängerung nicht mehr stattgegeben wurde. E. machte darauf das erste Schuljahr in einer Kleinklasse und konnte nach zwei Jahren problemlos in die Regelklasse wechseln. Es ist für Kinder aus bildungsfernem Milieu immer schwierig, gerade wegen der rudimentären Deutschkentnisse, die sich ohne besondere Anstrengung der Schule nicht aufholen lassen. Aber ich wage die Prognose, dass E. dank seiner guten Arbeitshaltung eine einfache Berufslehre wird machen können. Er möchte Chauffeur werden und ich habe ihm verspochen, bei der Lehrstellensuche zu helfen. Irgend ein Gott wird mir schon beistehen, egal welcher.
November 22nd, 2005 at 08:11
Ich werde -Inshallah – bei der Lehrstellensuche helfen.
November 24th, 2005 at 00:48
Seltsam, dass sich die Kleinklassen zwar um 300% vermehrt haben, aber die SchülerInnenzahlen der Schweizerkinder gleich geblieben sind.
November 25th, 2005 at 18:47
Ach 2nd 2nd – wusstest du nicht, dass es eigentlich ganz ohne Kleinklassen gehen würde? Dass die eigentlich etwas Rassistisches sind und man die Kinder alle problemlos integrieren könnte, wenn man bloss nicht so verbohrt wäre? Hättest du den Artikel letzten Sommer nicht zerrissen, könnstest du in der WOZ nachlesen 🙂 Remember?