Geputzt und gesrrählt

(Johanna und Jakob, Frühling 1941)

Dieses Bild meiner Eltern hängt, zusammen mit einigen anderen alten Fotos, bei mir in der Küche. Als ich es am vergangenen 30. August, ihrem gemeinsamen Geburtstag, abswischte, fiel mir zum ersten Mal auf, wie blank poliert die Schuhe des glücklichen Paares sind. 1941 gab es im Emmental kaum asphaltierte Strassen und Wege und auch wenig Schuhe.
1941 wurde mein Vater wieder einmal für einige Wochen in den Militärdienst eingezogen, was besonders während der Sommermonate für einen Bauern hart war. Zu Hause standen die Ernten an und auf irgend einem unnützen Posten langweilten sich die Soldaten. Das Gute daran war, dass Soldat Glauser genug Zeit hatte, seiner geliebten Johanna zu schreiben:

Ostermundigen, 29. Juli 1941
Auf meinem Posten sind 13 gute Kameraden, fast alle von Lützelflüh und Sumiswald. Ich werde am 8. August in den Urlaub gehen. Es ist so langweilig, keine Ruhe und wenig zu essen, aber ich kann mich ganz gut drein schicken, geht ja nicht mehr lange.
Schick mir nur nichts zu essen. Es sind viele Kameraden bei uns, die nicht heim schreiben können oder der Geliebten, um Essen zu schicken. Ich kann mich gut fügen, du weisst es ja wohl. Ich möchte nicht mehr sein als alle anderen.
H., wenn ich in den Urlaub komme, werden wir an einem schönen Sonntag noch eine Velotour machen.
Wie geht es deinem Fuss. Hoffentlich gut.
Warum hat dich Frida geschnitten mit der Sense?

(Frida war die Ex-Freundin meines Vaters und auf meine Mutter so eifersüchtig, dass sie sie mit der Sense verletzte. Kommentar von 1st hier)


Vater war einer, der wollte, dass man sich fürs Schuhwerk Zeit nahm. Eine der ungeliebtesten Arbeiten in meiner Kindheit war das wöchentliche Schuheputzen am Samstag. In einer langen Reihe ums Eck standen die verdreckten Schuhe jeder Grösse auf der „Laubenlehne“ (Balkonbrüstung aus Holz).
Mit einem alten Messer kratzten wir Schwestern – der Bruder wurde zu diesem „Ämtli“ nie eingeteilt – Kuhmist, getrockneten Schlamm, Steine und Grasbüschel aus den Profilen der Sohlen. Ungezählte Schweizerkreuze und Rillen stocherten wir frei, rieben mit einer rauhen Bürste den Schmutz ab – tschtschtsch. Anschliessend wurden die Arbeitsschuhe mit Schuhfett und Lappen bearbeitet. Die feineren Schuhe polierten wir mit der Schuhwichse „Marga“ *. Hatte der vierzigste Schuh diese Prozedur hinter sich, war der erste bereits trocken. Mit einer weichen Bürste, über welche wir manchmal eine alte Wollsocke zogen, ging’s wieder – tschtschtsch – rund um den Schuh, bis dieser am Schluss zusammen mit seinen mindesten neununddreissig Kollegen seine glänzende Nase über die Brüstung streckte.

* Die in der ganzen Schweiz äusserst beliebte Marga-Schuhwichse (1858-1978) haben wir Friedrich Wilhelm Adolf Sutter zu verdanken, welcher vor der Badischen Revolution 1848 aus Württemberg in die Schweiz flüchtete.