Mo 21 Mrz 2011
„Wüste wechselt mit Wüste, denn Wüste ist nicht gleich Wüste. Die zehn verschiedenen Wörter dafür haben einen Sinn, einen je eigenen. Derjenige vom Leer- und Freisein, von der -losigkeit ist der häufigste: weglos, pflanzenlos, schattenlos, etwaslos. Steine sind immer da, oder Sand, als Ebene oder als Berg. Und solange Berge da sind, kann sich das Auge erholen. Es stösst an Grenzen, an Barrieren, wechselnde, kann etwas hinter der nächsten Bergnase erwarten. Einen Baum vielleicht, eine Akazie, eine weitere Bergnase oder ein Wadi mit immensen aufragenden Felswänden, die langsam von der Zeit zerbrochen werden, an ihr zerbrechen. Vorläufig umfangen sie noch einen Einschnitt, auf dessen Grund eine kämpferische Flora existiert, die den Bedingungen ein karges Leben abringt. Dazwischen dünnes Vogelpiepsen und ein paar Esel, die da gemeinsam umherstreifen, um die Nähe eines Brunnens wissend.
An einer Felswand, vor einer kleinen Grotte ein paar Zeichnungen, die Verewigung der Ahnen – Menschen mit Lanzen, Gazellen, Löwen, die Fauna von einst.
Und immer mehr Steine, Kies, Staub, Weite. Alles jungfräulich, sagt Ibrahim al-Koni, als ob der Mensch erst gerade geschaffen wäre. Als das Meer verschwand, sagt Ibrahim al-Koni, war das Leben in seinen Anfängen, die Wüste ist Zeuge dieses Vorgangs, und in ihrer vielfältigen Gestalt deutet sie die vielfältigen Möglichkeiten des kommenden Lebens an.
Aus der Stein- und Kieswüste wird Sandwüste. Die Dünen beginnen, aufregend glatt bis oben, zum ‚Sandschwert‘, wie Ibrahim al-Koni den scharfgezogenen Grat nennt, den der Wind unablässig verschiebt. Der Sand ist kühl jetzt im Januar, auch fest unter den Füssen, und wenn man flach über ihn hinwegschaut, liegt ein feiner grüner Schleier darüber. Das Wunder der Wüste, sagt Ibrahim al-Koni. Da ist nichts, und plötzlich brechen kleine Pflänzchen hervor. Und wenn es erst einmal regnet, dann blüht und grünt es hier aus dem Nichts.
Doch es regnet wenig. Das Wadi am Nordostrand der Roten Hammâda, das für Ibrahim al-Koni und seine Brüder einst Kindheitsparadies war, mit Regen im Herbst und im Winter und üppiger Vegetation im Frühjahr – genug für viele Tiere, wilde und zahme –, dieses Wadi zeigt Spuren des Durstes. Struppig dürres Gebüsch, ein trister Brunnen und weit und breit weder Mensch noch Tier.
Ein paar Kilometer weiter die Oase, in der der Autor geboren ist. Sie existiert noch. Wasser, Palmen, Enten. Neue Betonhäuser. Doch der alte Dorfkern ist verlassen und befindet sich im Zustand fortgeschrittenen Verfalls, die Lehmhäuser zerbröckelt, die Palmstämme geborsten.
Das Ganze soll, als nationales Monument, restauriert werden, sagt eine Tafel.
Von hier ist es 600 Kilometer nach Tripolis. Asphaltstrasse.
(Quelle: Fähndrich, Hartmut : Die Wüste als Heimat und Metapher, Jan. 2011)