Herstnachmittag

Rosalina toupiert ein wenig an Frau Binz‘ Hinterkopf, kämmt die Deckhaare luftig darüber – fertig. Frau Binz ist 91, wohnt noch „selbständig“. Um acht Uhr früh kommt sie im Coiffeursalon vorbei, setzt sich ein „Momäntli“ hin zum Plaudern und trippelt dann mit frischer Frisur zufrieden zum Lebensmittelladen. Ich glaube, sie muss für diese tägliche Verschönerung nichts bezahlen.
Rosalina hängt eine leuchtend rote Sternlampe ins Schaufenster, stellt ein verschnörkeltes Tischchen mit Pflegeprodukten darunter. Für Geschäfte höchste Zeit, weihnächtlich zu dekorieren. Lebkuchen gäbe es ja schon seit August.
Heute wäscht mir Nina die Haare – zum letzten Mal, denn Ende Jahr geht sie in Pension. (Das Geschäft weiss sie bei ihrer Cousine Rosalina in guten Händen.)
Nina schneidet mir seit vielen Jahren die Haare. Nach kurzer Versuchsphase fand ich zusammen mit ihr meine Frisur: asymmetrisch, Scheitel rechts und Haare kurz über dem Ohr, links von hinten Mitte schräg nach vorne länger, hinten in die Spitze – Hauptsache: immer gleich. Etwas Schaum, dann trocknen mit Fön und Bürste – fertig.
Für die Regenbogenpresse hat es auch heute nicht gereicht, so bleibt das Familiengeheimnis der von und zu Guttenbergs für mich Geheimnis.
Es gibt einfach Sachen, die müssten sich für mich nie ändern, wie u.a. die Frisur, meine schwarzen T-Shirts oder meine Coiffeuse.
Ich werde Nina und die Erzählungen aus ihrem Dorf in der Nähe von Neapel vermissen. Dort ist es heute sonnig und 20° warm …


… während bei mir im Garten auf dem Wasser des Giesswasserbeckens eine dünne Eisschicht schwimmt und die allerletzte Dahlienblüte versucht, der Kälte zu trotzen. Zu meiner Überraschung steht der Duftschneeballbusch in voller Blüte und verbreitet einen Hauch von Frühling. Ein paar kalifornische Mohnknospen recken sich noch aus dem Laub. Hoffentlich lassen sie einige Samen fürs nächste Jahr da. Der krause Federkohl braucht den Frost, um noch besser zu schmecken.

Winterschneeball Kalifornischer Mohn
Federkohl Dahlie