So 9 Nov 2014
Sie erzählte, wie gemütlich das Hasenleben hinter der Mauer war. Die Soldaten waren extra dazu da, um auf sie aufzupassen, damit sie kein Auto überfahren konnte. Wenn sie ein Butterbrot übrig hatten, warfen sie es den Hasen hin, und manchmal hatten sie auch ein paar Karotten. Natürlich war die Küche nicht so gut, wie in Wien, sagte Mimi, aber dafür hatte man hier seine Ruhe.
… bis eines Tages, mitten in der Nacht, ein ungeheurer Krach losging. Auf der ganzen Hasenwiese trampelten Hunderte von Menschen herum, und alle schimpften auf die Mauer. Sie hatten Hämmer und Bohrer dabei und fingen an, die Mauer kaputtzumachern. „Was ist los?“ fragte Esterhazy. „Die Mauer muss weg!“ riefen die Leute.
Aus: Esterhazy. Eine Hasengeschichte
Irene Dische / Hans Magnus Enzensberger / Michael Sowa
Published by Sauerländer, Aarau, 1993
ISBN 10: 3794136160 / ISBN 13: 9783794136162
Im Juli 1984 reiste ich mit meinen beiden Töchtern nach Berlin. Freunde hatten auch für uns Eintrittsbuttons ergattert, damit wir hier dabei sein konnten – märchenhaft unvergesslich und für eine halbe Million Menschen ein schweisstreibender Heimweg durch eine warme Berliner Sommernacht.
Natürlich konnten wir auch die Hasenkolonien im Todesstreifen bestens beobachten, vernahmen aber erst zehn Jahre später die Geschichte der grossen braun und weiss gescheckten Häsin Mimi und ihrem kleinen Esterhazy.
Esterhazy: „Ich gebe zu, dass ich ziemlich klein bin, aber könntest du mich trotzdem heiraten?“
Mimi: „Natürlich, du Dummkopf.“