Sa 21 Mai 2016
2nd, male arbeitet nun schon mehrere Jahre für eine internationale, indische Firma. Das ist der Grund, weshalb ich wieder viel mehr über dieses Land, das ich als Kind so intensiv bereist habe, nachdenke und lese.
Es ist einerseits schwer zu verstehen, dass Indien immer noch so mausarme Menschen hat und eine so katastrophalen Umgang mit Mädchen und Frauen zulässt. Andererseits auch wieder nicht.
Indien führt uns vor, wie unmöglich Verbote von Diskriminierungen sind, wenn sie nicht bei den Kindern und in der Bildung aller Schichten anfangen. Das Verbot der Diskriminierung durch Kastenzugehörigkeit hat nicht mehr verändert, als dass man gegenüber Nicht-Indern nicht darüber redet und einer Unkrautjäterin neben einer Sehenswürdigkeit vielleicht nicht mehr die Beine unter dem Körper wegkickt, wenn sie zu langsam ist. Die indischen Frauenrechtlerinnen, aber vor allem die Schlagzeilen betreffend Vergewaltigungen, die dem Tourismus empfindlich schaden, haben dazu geführt, dass es immerhin in städtischen Gebieten zu mehr Anzeigen kommt. Das ist das Entscheidende. Denn Indien leidet nicht an seinen Gesetzen, Indien leidet an der Kluft zwischen Gesetzgebung und Lebenswirklichkeit. Letztere ist wie in allen Gesellschaften Jahrhunderte alt und wird durch Tradition weiter gereicht. Die vergleichsweise neue Gesetzgebung wird dagegen noch Jahrzehnte im Nachteil bleiben. Andererseits ist sie einer der Gründe, weshalb Indien gerade in der IT Erfolg hat. Seit sie europäische und amerikanische Firmen aufkaufen, haben sie sogar Personal gewonnen, welches westliche Kundschaft überzeugen kann, denn das ist schier unmöglich für in Indien sozialisierte Menschen. Das starke indische Prestigedenken führt nicht nur dazu, dass wir hier mehr von den Atom- und Mondlandungsplänen als von dem verheerenden Wassermangel erfahren, sondern es killt auch die Lust, selbständig zu handeln, sich hochzuarbeiten, sämtliche intrinsische Motivation. Das alles sind aber Motoren westlicher IT-Erfolge.
Wo ich persönlich das grösste Potential sähe, wäre in der Durchmischung durch Ehe. Zwischen den Kasten, Religionen und Nationen. Und genau dort bewegt sich Indien nicht mehr als der Kosovo. Wer sich mischt, muss immer noch gehen.
Der Kontrast hätte grösser nicht sein können, vom Campus zu den dünnen Menschen, die in der Strohhütte hausen. Trockenheit allüberall, Monsun zwei Wochen verspätet, soll aber dafür gut sein heuer. Gestern Abend Ausflüge in die Stadt, in einen Ganesha-Tempel und über den Markt, dann in einem Lokal essen. Sinngemäss gutbürgerliche Küche, Nachschlag unbegrenzt. Trotz aller gegenteiliger Beteuerungen kann von allen, die nicht in der IT arbeiten, niemand ein Wort Englisch. Nur sehr teure Taxifahrer, Security, Kellner.
Heute war Children’s day hier. Jeder hatte seine drei- bis achtjährigen dabei. Süss und schlau und sprechen Englisch. Die Hoffnung lebt.
Das ist die vorläufig letzte Nachricht aus Indien von 2nd, male, von seiner Fahrt zum Flughafen.