Sa 15 Okt 2011
Als Frau Schnyder ins Altersheim übersiedelte, nahm sie die Kasperli-Figuren mit. Ihr Mann, ein Grafiker, hatte diese als frischgebackener Vater modelliert und Frau Schnyder hatte die Kostüme genäht. Eigentlich wollten die erwachsenen Kinder die Figuren schon lange entsorgen und verstanden nicht, dass ihre Mutter solch unnötigen Kram ins Heim mitnahm. Wenn ich der alten Frau eine Auswahl Bibliotheksbücher vorbei brachte, kochte sie mir Tee, nahm dann den Kasper, das Grittli, den Polizisten hervor und erzählte von früher. Als Frau Schnyder gestorben war, erhielt ich Bescheid, dass sie mir die Kasperlifiguren hinterlassen hatte. Aber aus dem Erbe wurde nichts. Die Söhne wollten die Puppen nun unbedingt haben, riefen mich ständig an, versuchten mir auf die Tränendrüsen zu drücken. Schliesslich seien die Handpuppen von Papa, einem Künstler, gemacht, ein wichtiges Andenken und wertvoll. Es sei doch seltsam, dass Mama sie nun einer wildfremden Person … Ganz klar, dass ich nicht auf meinem verbrieften Recht beharrte.
Noch einmal sollte ich etwas erben.
Meine Freundin Rosmarin, Lektorin in einem grossen Verlag, vermachte mir ihre Bibliothek. Sie lag bereits auf dem Sterbebett, als ihre Brüder ihr mitteilten, dass sie für die Bücher eine Abfallmulde bestellen würden, da niemand in der Familie ein Interesse an diesem Altpapier hätte. Verzweifelt liess Rosmarin vor Zeugen ein Testament für die Bücher schreiben. Nach dem Tod von Rosmarin organisierten wir einen Lieferwagen, Kisten, Helferinnen und Helfer. Aber Rosmarins Brüder waren schon vorbeigekommen. Mit einem Antiquar hatten sie alles, was wertvoll und selten war, aus der Bibliothek abtransportiert.
Ich höre viele Erb-Geschichten, selten gute. Eine Freundin von mir z.B. besucht regelmässig ihre alte Mutter, kauft ein, macht einen Spaziergang, schaufelt im Winter den Schnee weg. Das wird von den Geschwistern, sie haben ihre eigenen Geschäfte und sind oft im Ausland, nicht goutiert: die Schwester sei eine Erbschleicherin und man wisse nicht, was sie während ihren Besuchen der Mutter alles abluchse.
Und alle, bei denen es nicht nur um Puppen oder Bücher geht, können aufatmen. Denn ein möglicher Kollaps des europäischen Bankensystems wird vorausgesagt, nicht von einer Astrologin, sondern vom ehemaligen Chefökonomen der UBS. Das würde dann sicher einige Erbstreitereien lösen.
Eine schöne Erb-Geschichte kenne ich doch. Meine Freundin Caroline, erbte von einem pensionierten alleinstehenden Arbeitskollegen etwas Geld. (Ganz klar, erledigte Caroline alle Läufe und Gänge, die es bei einem Verstorbenen ohne Verwandtschaft gibt.) Caroline also schenkte mir von diesem Erbe dreitausend Franken. Meine Arbeitgeberin, eine Kämpferin für Frauenrechte, hatte mir gerade gekündigt und ich wusste nicht, ob ich je wieder eine neue Arbeit finden würde. Das Geld von Caroline gab mir Mut und linderte die Existenzangst. Ich fand dann zum Glück wieder eine Stelle und musste das Geld nicht aufbrauchen. Der „Notgroschen“ liegt noch auf der Bank. Caroline will es nicht zurück haben. Es muss aber unbedingt vor dem Kollaps unter die Matratze!
Oktober 16th, 2011 at 20:02
Liebe 1st, hier eine gute Erbgeschichte: Aus sehr traurigem Anlass sind wir Geschwister grad Erbinnen und Erbe geworden. Ich bin dankbar, dass wir, neben dem grossen Schmerz, den Nachlass in Harmonie verwalten können und jedes Geschwister dem anderen seinen Teil von Herzen gönnt. Diese Grosszügigkeit versteht sich meiner Meinung nach von selbst und hat damit zu tun, die geliebte Person, die gegangen ist, in Ehren zu halten und mit ihren materiellen Andenken achtsam umzugehen…
Oktober 17th, 2011 at 07:50
Viele vergessen, es ist eine Ehre etwas vererbt zu bekommen und kein Recht.
Man würde aber gerne auf jedes Erbe verzichten, wenn der geliebte Mensch noch bei uns wäre.
Oktober 17th, 2011 at 09:12
Das sind zwei sehr schöne Beiträge zum Thema „Erben“. Ich bin total eurer Meinung. Einander den Teil von Herzen gönnen, das Erbe als Ehre ansehen und die Gegangenen in lieber Erinnerung behalten, das ist das Beste! Aber leider ist das nicht allen gegeben. Es gibt Erben, die keine Mittel scheuen, ihren Teil auf Kosten der anderen zu vergrössern. (Im Moment steht mir ein solcher „Fall“ nahe.)
Einen guten Tag!
Oktober 17th, 2011 at 12:16
Eine ledige Tante hinterliess uns drei Geschwistern vor allem Schmuck. Wir verzichteten einhellig darauf,die Stücke schätzen zu lassen, denn so Gutachten können recht teuer sein. Statt dessen arrangierten wir die Schmuckstücke schön auf Samt.Nr 1 konnte etwas auswählen, dann Nr. 2, dann Nr. 3. Die zweite Runde begann mit Nr.2,dann folgten Nr. 3 und Nr.1,die dritte Runde Nr. 3, Nr. 1, Nr. 2 und so weiter,bis alles verteilt war,in schönster Harmonie, wie es der guten Tante bestimmt gefallen hätte.
November 1st, 2011 at 16:28
… aus genau solchen Gründen haben meine Eltern schon seit Jahren das Motto, lieber schon zu Lebzeiten so viel wie möglich weiterzugeben/zu vererben. Und damit ist nicht nur Geld gemeint. Sie sind der Meinung, wenn sie jetzt schon (viel) weitergeben, haben alle mehr davon und es gibt nach ihrem Tod dann einmal kein grosses Buff. Davon gehen wir Geschwister, die ein sehr gutes Verhältnis zueinander haben, zwar sowieso nicht aus, aber man weiss nie, was (Ehepartner, Umstände, usw.) einem das Leben noch so bringt…
Meine Mutter hat sich drum angewohnt zu sagen, „wenn mir denn emol nüm do sy, gits zwar denn nid viel zhole, aber derfür gohts eus jetzt guet“. Ich liebe sie dafür. Nicht nur dafür, natürlich. Aber auch.
November 7th, 2011 at 09:19
Ihr Lieben, danke für die schönen Erbgeschichten! „Mit warmen Händen geben“ ist auch mein Motto. Ich stecke im Moment in einem so absurden Erbstreit, den mir niemand hier glauben würde. Kann gut sein, dass ich ihn an meine Kinder vererben muss. (Diese lassen sich von diesem „Erbe“ nicht aus der Fassung bringen – zum Glück!)