Mo 18 Mai 2020
Nun taten wir es wieder, obwohl ich vor Jahren „nur über meine Leiche“ sagte!
Wir mussten – aus finanziellen Gründen – Kleinesmädchen in der schlechtesten Schule der Stadt anmelden. Auf dem Anmeldeformular konnte man ankreuzen, ob man den Schulstart des Kindes über den Kindergarten oder die Basisstufe (Kindergarten mit Verbindung zur 1. und 2. Klasse) wünscht. Unserer Jüngsten angepasst wählten wir die Basisstufe.
Am Samstag kommt der vom Kind langersehnte Brief: Kleinesmädchen erhält ohne jegliche Erklärung keinen Platz in der Basisstufe.
Im Umschlag befinden sich zehn Blätter von der Stadt, dem Schulkreis und …
… der zuständigen Kindergärtnerin.
Frau Hofer stellt sich als 33 jährige Mutter von 2 Kindern vor, die den täglichen Weg aus der Nachbargemeinde mit dem E-Bike zurücklegt. „Wir haben Kaninchen, Katzen und ein Hund“, berichtet sie. „Ich biete auch ein Ausbildungsplatz für eine Praktikantin an.“
Nun kennen wir Frau Hofer etwas besser.
Damit die der deutschen Sprache nicht so mächtigen Eltern wissen, was Kind für den Garten braucht, gibt es dieses Blatt.
Dann ist da noch das Kontrolle-Blatt „Ist ihr Kind gut vorbereitet für den Kindergarten?“
Eine der Fragen (Nr. 3):
Kann ihr Kind einfache Sätze auf Deutsch verstehen, z.B. „Wo ist der Ball?“ und einzelne Wörter sprechen z.B. essen, schlafen, Auto, Bett?
Ich sollte froh sein, alle 5 Fragen zu der Kindergartenreife meiner Enkelin mit JA beantworten zu können, aber eigentlich muss ich nur z’luter Wasser gränne.
Da die ganze Familie in einen Topf sammelt und Arbeitspensen so weit wie möglich aufgestockt wurden, besuchen die beiden älteren
Geschwister von Kleinesmädchen eine sehr gute Privatschule in der Stadt.
Mai 19th, 2020 at 21:20
Liebe 1st, ach, ich leide grad mit euch! Darf ich fragen, was an der Schule euch so belastet? Ich kenne übrigens noch eine Familie, die auch sehr unglücklich ist mit derselben Schule… dabei sind deren Kinder wie bei euch alle blitzgescheit und kommen deshalb schulisch nicht auf ihre Kosten. In meiner Familie hat jemand wegen der wirklich schwierigen Schule im dortigen Quartier (die Schulleitung ist übrigens sehr gut, aber völlig überlastet) die uns bekannte, rosafarbene Institution auf dem Hügel gewählt und bereut es mittlerweile. Ist Stoff für viele Gespräche, teils unter Tränen. Es freut mich, dass die beiden Grossen es gut getroffen haben. Hoffen wir, dass die Geldtöpfe in ein, zwei Jahren ausreichen, um auch die Kleine in die Stadt zu schicken… Alles Liebe euch! PS: wir fahren leider nicht gen Albinen, sondern ins Rekadorf Blatten-Belalp. Ich wusste nicht, dass du im legendären Fiescher Lager warst – hast du die Bücher der temporären Bibliothek jeweils mitgenommen?
Mai 20th, 2020 at 02:08
Liebes Granium, mit der rosafarbenen Institution habe ich bei meiner älteren Tochter gute Erfahrungen gemacht. Allerdings hing das mit dem fähigen Klassenlehrer zusammen, den man dort 8 Jahre lang behält, auch wenn er/sie nicht zum Kind passt.
Als ich vor 49 Jahren ins Quartier kam, gab ich zuerst Nachhilfeunterricht und führte ein Malatelier, engagierte mich als betreuende Mutter bei Schulbaden, -reisen, Maibrummel, Schultheatern, Töggeliturnieren, Fasnachtsumzügen, Schulfesten usw. 19 Jahre lang war ich Hortleiterin, half Lehrstellen suchen, war Referenz fürs Einbürgern von SchülerInnen bei der Fremdenpolizei, nahm Pflegekinder auf und öffnete weit Tür und Kühlschrank. Schon damals war ich nicht überzeugt von unserer Schule, aber ich dachte, wenn nur genug einsichtige Eltern mithelfen, wird’s besser. Von der Schuldirektion erhielt ich freie Hand, um die Aufgabenhilfe zu organisieren, sei es für Fremdsprachige oder sonst irgendwie Hilfebedürftige. Das hat einige Jahre recht gut geklappt. Auch Kinder aus Berns Westen schafften es in die Sekundarschule, ins Gymi oder ins Seminar, wurden LehrerInnen, KünstlerInnen, Sportlerinnen, BiologInnen.
Wir waren zwar nicht das Kirchenfeld, aber doch ein bisschen cool.
Genau weiss ich es nicht, aber ich glaube, es kippte Ende der 1980er Jahre mit den rigorosen Sparmassnahmen der Stadt. Dass Bibliotheken die Öffnungszeiten massiv beschränkten, die Jugendarbeit, auch die der Kirchen, abgebaut und am Stützunterricht in den Schulen gespart wurde, traf unser Quartier mit dem (exgüsee) grossen AusländerInnenanteil hart. Ab 1990 bis 1999 kamen über 300’000 Kriegsflüchtlinge aus dem Balkan in die Schweiz. In den Stadtteil VI (günstige Mieten, Verwandte) zogen in kurzer Zeit sehr viele Menschen, kriegsgebeutelt und mit total anderen Vorstellungen vom Leben.
Wir gutmeinenden, benevolarbeitenden, bildungsbeflissenen Frauen verloren den Überblick und mussten uns damit abfinden, dass wir nicht mal mehr der Tropfen auf dem heissen Stein waren. In den Schulen war man überfordert mit neuartigen Problemen. Heute gibt es sicher noch ein paar Leute, die sich bemühen, aber eigentlich kennen sie das Leben in unserem Quartier nicht. Sie würden hier nie wohnen wollen und sicher ihre Kinder hier nicht zur Schule schicken. Ich habe schon mehrmals darüber geschrieben, dass gerade Schweizer Eltern schlecht behandelt werden und man ihnen vorwirft, sie überschätzten die Intelligenz ihrer Sprösslinge. Kleinesmädchen kommt in eine Klasse, in welcher es nur zwei Kinder mit der Muttersprache Deutsch gibt. Kindergartenreif ist ein Kind, wenn es essen, schlafen, Auto und Bett nachsprechen und den Satz „Wo ist der Ball?“ verstehen kann. Man könnte es für wichtig halten, dass die Kindergärtnerin den Akkusativ kennt. In Bethlehem haben wir einen ausländischen Wohnbevölkerungsanteil von 39,8% (2019). Das allein wäre kein Problem, wenn Eltern der Bildung mehr Wertschätzung und den Kindern mehr Respekt erweisen würden. Der allgemeine Umgangston draussen ist erschreckend.
Sozial muss meine Enkelin zum Glück nicht gefördert werden. Von den Geschwistern lernt sie schreiben, rechnen und zählen und von mir, was sie wissen will.
Weil wir nachgefragt haben wegen des verweigerten Basisstufenplatzes wird uns irgendeine Strafe wohl auf dem Fuss folgen.
Die Bücher (u.a. immer die neuesten Comics und TBs mit Liebesgeschichten) fürs Lager in Fiesch habe ich in den damaligen Regionalbibliotheken ausgeliehen und in einen Container gepackt. Zusammen mit dem Sportgerätekrempel wurden sie dann ins Oberwallis transportiert.
Fiesch 1989: Noch total handy- und computerfrei.
Im Reka-Dorf werdet ihr sehr schöne und erholsame Tage haben!!
Juni 4th, 2020 at 10:53
Danke für deine ausführliche Antwort! Es ist eine lange Leidensgeschichte mit dieser Schule, lese ich heraus. Besonders bitter, wenn man, wie du und deine Familie, so viel Herzblut und Kraft hineingesteckt habt. Die Mischung aus finanziellen Kürzungen und einer neuen, teilweise an Bildung nicht interessierten Nachbarschaft liess euch wohl ein bisschen an Sisyphos denken… Die Schwelle der Kindergartenreife wurde wohl tief angesetzt, weil sonst viele nicht „reif“ wären. Ich gebe ehrlich zu, dass bei uns das (schulische) Umfeld mit ein Grund für den Wegzug war, auch wenn die Schule dort vor Ort gute Leute hat (ich war im Elternrat). Den teils rauhen aggressiven Umgangston wollte ich meinen Kindern und uns nicht zumuten. War ein Umzug bei euch nie Thema? Wir leben jetzt in einer gut gemischten Zone, finde ich, hat ganz unterschiedliche Familien! Wunderbar die Bilder aus Fiesch 🙂 und über deinen Reka-Beitrag hab ich sehr gelacht. Auch ich fand (und finde) es manchmal eine biedere Sache, aber für autolose Familien, die alles selber anschleppen, ist die Infrastruktur eine Wohltat. Blatten-Belalp war rundum toll.
Juni 7th, 2020 at 11:33
Ja, punkto Reka-Dorf habe ich meine Meinung total geändert. Wir haben die Ferienwoche damals so genossen. Die Kinder wollen unbedingt wieder hin.
Du hast natürlich Recht mit dem Umziehen in ein anderes Quartier. Das kommt immer wieder zur Sprache. Aber du weisst, der Block ist der Arbeitsplatz eines Familienmitglieds und dieses muss hier wohnen.
Nun haben wir ja nur noch 1 Kind, für welches wir ein passendes Plätzchen suchen;-)
Liebe Grüsse!
Januar 29th, 2021 at 08:33
29.01.2021
Notiz zur aktuellen Situation:
Dank des Einsatzes des Schulkommissionspräsidenten und einigen Kommissionsmitgliedern erhielt Klainesmädchen einen Platz in der Basisstufe unseres Schulkreises.
Wie befürchtet, folgte die Strafe dann auf dem Fuss. Wir mussten den Schulgarten verlassen, angeblich wegen Bautätigkeiten, sagt dieselbe Schulleitung wie beim Basisstufenplatz. (Architekten und Bauleiter haben aber mit dem Garten gar nichts vor. Von ihnen aus könne er weiter bearbeitet werden.)