Mi 1 Okt 2008
Heute am Morgen im Bus habe ich einen Apfel gegessen und gelesen. Es stieg ein älterer Herr zu, der sich neben mich setzte. Er hatte ein Umweltschutzcouvert in der Hand, welches an einen Albaner adressiert war und auf dem handschriftlich „IFAU“stand.
Wir sassen eng und dachten uns Geschichten übereinander aus. Ich dachte mir, dass ihm seine Tochter das Wort aufgeschrieben hat, welches er auf irgend einer Beratungsstelle können muss: „IV“. Er dachte sich vermutlich, dass ich eine schweizer Lehrerin sei, die ihr Gröibschi entsorgen möchte.
Schliesslich bat er mich um das Apfelgröibschi und warf es für mich im Abfall neben dem Buschauffeur. Er öffnete das Couvert und fragte „du Schweiz?“, was ich bejahte. Er drückte mir den Brief in den Hand. Es war ein Schreiben mit dem neuen AHV/IV-Ausweis. Ich zeigte ihm, wie er diesen ablösen konnte und riet, den Ausweis zu seinen Papieren zu legen. „Papiere“ verstehen alle und eigentlich hat jeder ältere Ausländer immer seinen Ausweis dabei. Auch Herr Ameti schob den neuen AHV/IV- Ausweis sorgfältig hinten ins abgegriffene Mäppchen seines C-Ausweises.
Aber er glaubte mir nicht, dass in dem Schreiben nichts anderes stand, es war viel zu lang. Bestimmt hätte es mit seiner Pensionierung zu tun, er sei jetzt 65 geworden. 15 Jahre „IFAU“ und 15 „Bau“ hätte er in der Schweiz gemacht. Seine Frau sei eine kranke Frau, die nur im Haus arbeite. Er fragte nach der Höhe seiner Pension, nach der Höhe ihrer Pension und wann er das Geld bekommen würde. Er konnte sehr, sehr wenige Worte Deutsch und verstand nicht viel von dem, was ich zu sagen versuchte.
Wir sind so verblieben:
Er wendet sich an sein Kind, welches in der Schweiz wohnt (andere Kinder sind im Kosovo). Wenn das nicht klappt, wendet er sich an den Briefkopf, von dem der AHV-Ausweis gekommen ist; ich habe ihm die Adresse eingekreist. Er kann sie im Notfall der nächsten lesenden Schweizerin im Bus zeigen und kommt dann – Inshalla! – zu einer Bundesstelle, die albanische Azubis hat.
Ich wünschte schönen Bairam noch Herr Ameti und stieg betrübt aus.
Vielleicht ist er einer Schweizer Schwiegertochter ein so gemeiner Schwiegervater, wie 2nd2nd einen hat, vielleicht ist er ein hilfloser, freundlicher Mann, vielleicht nichts von beidem. Aber wenn jemand nicht lesen und sprechen kann in dem Land, in dem er sein Leben verbracht hat, ist es immer falsch und immer zum Heulen.
Oktober 2nd, 2008 at 06:16
Dreissig Jahre in der Schweiz und so hilflos. Man kann sich fragen, wer was wann wo wie warum falsch gemacht hat. Ich hoffe nur, „das Kind“ kanns besser.
Oktober 2nd, 2008 at 09:37
..davon 15 Jahre auf dem Bau? Sind die eigentlich immer noch an diesem babylonischen Turm(..)