Mo 13 Mrz 2006
Während meiner Ferienwoche in Kosovo ist Slobodan Milosevic gestorben. In dem Dorf, wo ich mit meinem Mann seine Verwandten besucht und gewohnt habe, gab es seit Rugovas Tod gar keinen Strom mehr. Stellt euch vor, mit Milosevics Tod ist der Strom zurückgekehrt. Zwar nur wenige Stunden pro Tag, aber diese sparen viele Euros für das Benzin für den Generator.
Als die Familie vom Tod des Kriegsverbrechers erfuhr, wollten sie die Nachricht erst gar nicht wahrhaben. Das sei ein Gerücht.
Als sie dann den Leichenwagen sahen, der Milosevic zur Autopsie nach Russland brachte, glaubten sie an Selbstmord, da ihm in den kommenden Tagen wichtige Aussagen bevorstanden, in denen er weitere Kriegsverbrecher hätte verraten müssen. Eine Cousine von 2nd, 2nd male meinte: „Hoffentlich setzen ihm die Russen kein neues Herz ein.“
Sicherlich flackerte in den Köpfen der Familienmitglieder ein erster Gedanke auf: „Gut, dass er gestorben ist.“ Ein wenig Freude hatten sie schon. Aber wen befriedigt dieser Tod schon? Die Getöteten werden nicht wieder lebendig, viele Schusslöcher sind immer noch zu sehen, die schwarzen Wände, die Ruinen, das traumatisierte Volk, die Erinnerungen, der Hass bleiben. Die Familie hätte sich gewünscht, dass Milosevic der Prozess zu Ende gemacht, dass er gerecht bestraft würde, dass er noch mehr hätte erzählen müssen. Ansonsten hätte er 20 Jahre früher sterben sollen, denn jetzt habe er ja all seine Ziele erreicht.
Ebenso war die Familie über die Berichterstattung des kosovarischen Fernsehens enttäuscht. Es hat ausgesehen, als würde Slobodan vom ganzen serbischen Volk betrauert, als hätte er als Kriegsheld sein Leben gelassen, als wäre er rundum geliebt. War es nicht das serbische Volk, das sein Haus in Belgrad angezündet und ihn ins Gefängnis getrieben hat?
Aber eigentlich interessiert Milosevics Tod die Familie gar nicht besonders. Sie haben andere Sorgen. Seit Rugovas Tod laufe nichts mehr in geordneten Bahnen. Die Probleme und Ängste häufen sich.
„Rugova ka shku,
Kosova ka maru.“
Rugova ist von uns gegangen,
Kosovo ist verloren.
Viele Politiker haben in der vergangenen Woche ihre Posten gewechselt, aufgegeben oder sind gar gestürzt worden. Niemand weiss, um was es eigentlich geht und was aus der Provinz werden wird. Es herrscht ein Durcheinander und das Volk befürchtet, Korruption übernehme die Herrschaft. Jeder kämpft für einen Stuhl, für seine Stellung, für die eigene Karriere, nicht für eine bessere Zukunft des Landes. Milosevics Tod nützt in dem Sinne keinem.
März 13th, 2006 at 22:21
Ich denke nicht, dass die Herauforderungen, welche Du beschrieben hast, unmittelbar mit dem Tod von Slobodan zu haben.
Vielmehr ist es meiner Meinung nach sehr schwierig, im Kosovo etwas aufzubauen. Die heutigen drei lebenden Generationen kennen den Begriff „Gemeinschaft“ ausserhalb der Familie nicht. Zumindest nicht so, als dass er einen Wert darstellt. Sie haben nie gelernt, gemeinsames Gut zu verwalten, etwas zusammen aufzubauen und schon gar nicht mit dem Staat. Der ist allerhöchstens zum Ausnehmen gut.
Es ist der Geist des Volkes, der nicht bereit ist, einen neuen Weg zu gehen. Jeder steht sich selbst am nächsten, weil es nie etwas anderes gegeben hat. Ausser in der Zeit, als Gewalt von Tito und später von Serbien ausging und diese Eigenbrötlerei unter der Gewalt verborgen war.
Auch jetzt ist die „Reife“ nicht in den Köpfen und in den Seelen dieser Menschen. Sie sehen einen Meter weit, bis zur nächsten Gelegenheit, etwas zu bekommen, ohne dafür etwas zu tun.
Innerhalb der Familie ist das ganz anders. Dort funktioniert das soziale Gefüge ausserordentlich. Zum Teil eben auch mit einem dominanten Umgangston.
Ich habe zu meiner Frau, die von Pëje ist, gesagt, dass ich die nächsten paar Jahre keine Chance für den Kosovo sehe. Sie hat mir zugestimmt.
März 14th, 2006 at 23:38
Welcome home, sista.
Ja, Roman Hanhart, wenn die Kosovarinnen und Kosovaren das zähe Volk bleiben wollen, das sie waren, dann müssen sie jetzt wirklich
über die Blutsverwandten hinaus wirtschaften. Ich bin aber überzeugt, dass die neue Generation genau das macht. Wenn ich nur schon an die Berufsmeisterschaften denke … wie viele kosovarische Namen bei den Preisträger/innen stehen. Ich bin zuversichtlich, aber es ist nicht einfach.
März 15th, 2006 at 01:32
Lieber Roman! Tatsächlich hat die Stromversorgung nichts mit Milosevics Tod zu tun! Strom ist seit Jahren ein alltägliches Thema. Es war halt spannend zu beobachten, wie Familienmitglieder die erwähnten Tatsachen in Verbindung gebracht haben. Ein gewisser „Aberglaube“ gehört halt auch zu deren Alltag. Aber wie du sagst, es sind andere Bereiche in denen sich die KosovarInnen weitereintwickeln müssen. Immerhin ein Fortschritt, dass es eine Neuauflage des „Abetare“ (der albanischen Fibel) gegeben hat, in dem auch Mädchen mit der Säge arbeiten!
Liebe Schwester! In Kosovo hat mir übrigens eine Cousine aus dem Kaffeesatz gelesen, ich werde einen Jungen zur Welt bringen. Eine Kaffeebohne, die mir deren Schwester durch den Pullover rutschen und auf den Boden fallen liess, deutete jedoch darauf hin, das Kindlein sei ein Mädchen. Haaaa!
März 15th, 2006 at 18:00
2nd2nd, female,
pfffft. Da muss ich dann aber doch anmerken, dass die bosniakischen Vorhersagemethoden viel, viel genauer sind. Sagt jedenfalls meine Schwester.
Oder der Kaffee ist besser.
Es sei denn…es werden Zwillinge; dann könnten beide Aussagen zutreffen.
(Wer von Euch hat sich eigentlich diese Kennzeichnung der Autorinnen durch Ordnungszahlen ausgedacht? Das bringt mich jedesmal ganz durcheinander. Ich muss mir mal ein Organigramm malen, befürchte ich.)
März 15th, 2006 at 19:02
@Marian: Das mit den Zahlen wird in Zukunft wahrscheinlich schwierig – geliebte Mathe hin oder her. Falls dann noch die Zwillige dazu kommen 😉
März 16th, 2006 at 15:46
Marian, der mathematisch Begabteste der Familie hat sich von Anfang an gegen die Bezeichnungen gewehrt. Wer weiss, vielleicht wird es bald mal Zeit, sie zu kippen 🙂