Di 27 Sep 2005
Ich bin immer sehr dankbar, wenn sich die Presse des Themas „Rückkehr“ annimmt und das tut sie doch ab und zu. Zum Beispiel bei sog. Rückkehrern in den Kosovo, von denen es sehr viele gibt. Die Entscheidung für die Rückkehr (oder als Alternative die Zwangsausschaffung) ist trostlos, weil der Kosovo im Moment ein Land ohne viele Perspektiven ist.
In der heutigen Zeitung lese ich, dass der Nationalrat Bundesrat Blocher und dem Ständerat folgte und den Sozialhilfestopp weiter ausdehnt. Immerhin ist die garantierte existenzsichernde Nothilfe nicht abgeschafft oder eingeschränkt worden, wie dies der Ständerat vorgeschlagen hatte. Weil nämlich das Bundesgericht selber diese Vorschläge für verfassungswidrig erklärt hatte.
Dazu mein Meinungstriangel:
1. Wir können froh sein, dass bei uns die Justiz von der Politik weniger bedrängt wird als anderswo.
2. Wir (Linken) müssen einen grossen Teil dieses Rückschlages auf unsere Kappe nehmen. Wir haben zu lange das Thema „Asyl“ nur mit „Gutmenschentum“ pariert, anstatt uns anständige Argumente zuzulegen, die rosaroten Brillengläser zu ersetzen und kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen Gehör zu schenken.
3. Zur Strafe dürfen wir (Linken) wieder einmal ein chancenloses Referendum ergreifen und zuletzt lacht der Sohn des Pfarrers.
September 28th, 2005 at 13:57
(1) – Einverstanden.
(2) – Nicht ganz einverstanden. Tatsache ist zwar, dass heute die meisten Asylgesuche von nicht von Leuten stammen, für welche dieses Institut geschaffen wurde. Aber hier muss mensch nach den Ursachen fragen. Die Linke hatte das wenigstens von Zeit zu Zeit auf’s Tapet zu bringen versucht, chancenlos zwar. Da der politische Wille zur Bekämpfung der Ursachen fehlt und die Symptome nicht einfach mit einer rosaroten Brille verschwinden, müssen wir uns sehr wohl überlegen, wie gewisse Missstände in der Asyl- und Migrationspolitik angegangen werden könnten. Dazu braucht es jedoch pragmatische Lösungen und nicht ideologische Verschärfungen eines ins Gegenteil verkehrten Asylrechts. Stell dir mal vor: Das Asylrecht ist eigentlich gedacht, um Menschen auf der Flucht Schutz zu bieten. Davon übrig geblieben ist ein Gesetz, das erlaubt, Menschen, die nichts Strafbares begangen haben, bis zu zwei Jahre zu inhaftieren! Ich finde das einfach unglaublich! – Und dafür willst du auch noch uns Linken die Schuld zuweisen?
(3) Das Referendum ist nicht a priori chancenlos, sonst bräuchten wir es ja gar nicht zu ergreifen. Die Empörung über dieses menschenverachtende Gesetz ist gross. Sogar in der sonst eher konservativen Ostschweiz gibt es ein breites Solidaritätsnetz für Flüchtlinge. Auch feministische, kirchliche und Menschenrechts-Organisationen werden das Referendum tragen. Das Argument eines möglichen Boomerang-Effekts halte ich nur halbwegs für berechtigt: Es kann doch nicht sein, dass wir aus Angst vor einem fremdenfeindlichen Diskurs bereit sind, Menschenrechte zu opfern.
September 28th, 2005 at 17:17
(2) – Ja, du hast in vielem Recht. Und ich freue mich sehr, dass du intervenierst, ich teile deine Argumente. Ich habe nicht gesagt, dass das Ansylrecht verdreht wird, sei die Schuld der Linken, sondern gesagt, dass die Verschärfungen derart „smooth“ auf Kosten der humanitären Tradition durchgehen, sei auch die Schuld der Linken. Wir haben es schlittern lassen und tun das noch.
(3) Ich bleibe dabei. Helfe aber, reisse mir vielleicht nicht gerade so ein Bein aus wie bei der erleichterten Einbürgerung, die ich übrigens auch für chancenlos aber gleichzeitig für sehr wichtig hielt. (Hatte mich sehr dafür stark gemacht, eine „weniger Papierkrieg“-Kampagne zu führen – bekanntlich wurde etwas anderes draus.) Vor einem Boomerang aufgrund des Referendums habe ich keine Angst, sollte ich das vermittelt haben, war es falsch.
September 28th, 2005 at 22:09
(2) Dann sind wir uns einig. Es ist leider so, dass die Linke den Themen Migration & Asyl vielfach ausgewichen ist oder bloss rein defensiv argumentiert hat und so das Feld rechten Hasspredigern überlassen hat, welche ihre „Argumente“ wohlfein verpackt als Rechtschaffenheit verkaufen konnten. Wenn wir die Abstimmung gegen das Asylgesetz gewinnen wollen, müssen wir auf diesem Feld Definitionsmacht (zurück)gewinnen.
(3) Sorry erstmal, das mit dem Boomerang steht natürlich nicht in deinen Worten. Es ist nur ein Argument, das ab und zu auftaucht – und ich hatte beim Lesen deines Beitrags jemanden vor dem geistigen Auge, der oder die so argumentieren könnte. Aber ich kenne dich ja nicht und daher sollte ich vorsichtiger sein und nur auf das antworten, was du auch geschrieben hast. – Ich bin etwas optimistischer, vielleicht zweckoptimistischer: ohne Selbstüberschätzung kann mensch gar nicht die Energie für ausserordentliche Leistungen aufbringen 🙂 Nein, im Ernst, ich glaube, es ist einfacher eine Vorlage zu bodigen als eine zu verteidigen. Wir müssen bloss aufzeigen, dass das völlig falsche Rezepte sind, die (a) gar nicht das bewirken, was sich die Rechte davon erhofft, und (b) sinnlos grausam sind, gerade auch für diejenigen, die geschützt werden sollten. Das ist bei einer dermassen überspannten Vorlage durchaus realistisch. Bei anderen Vorlagen, wo die Rechte alle Relationen verloren hat wie z.B. bei Avanti, der AHV-Revision oder dem Steuerpaket ist das ja auch gelungen.
September 28th, 2005 at 23:53
Liebe Esther! Ich freue mich über deinen Zweckoptimismus. Ich selber teile ihn nicht und habe dennoch Energie. Es ist der stete Tropfen, der den Stein höhlt, weil die Schweiz einfach so funktioniert.
Deshalb habe ich in 3. auch keinen Zweifel daran gelassen, dass wir das Referendum ergreifen werden. Es ist unser Job.
Und hätte es nicht immer zweckoptimistische Leute und solche, die einen Job für die Gerechtigkeit machen wollen, gegeben, hätten wir noch nicht einmal das Frauenstimmrecht.
Wohlan! Aus welchen Gründen auch immer 🙂