Der Pfirsichbaum steht krumm und knorrig da, gebeugt unter der Last der Früchte. Es ist überhaupt ein fruchtbares Jahr: Aprikosen, Kirschen, Äpfel – alle Bäume tragen so viel wie sonst nie.
Ich denke an die Laboranten, die ins Dorf marschierten und Proben von unserer Ernte nehmen wollten. Sidorow gab ihnen stolz seine Monsterzucchini, Lenotschka reichte die Hühnereier über den Zaun, Marja brüllte spöttisch: „Na klar, ich werde jetzt gleich aufstehen und für euch meine Ziege melken, sonst noch was?“, und ich liess die vermummten Gestalten schulterzuckend auf mein Grundstück, sie sollten sich zusammensuchen, was sie wollten. Schliesslich mussten sie ihre Arbeit tun.
Beim ersten Mal öffnete ich für sie ein Glas eingelegter Pilze, weil ich sie wie Gäste behandeln wollte. Sie gabelten einen Pilz auf und steckten ihn in ein Gefäss mit Schraubendeckel. Meine Tomaten fassten sie mit Gummihandschuhen an. Bei den nächsten Malen liess ich mein Eingemachtes im Regal.

Aus: Bronsky, Alina : Baba Dunjas letzte Liebe, Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2015, ISBN 978-3-462-04802-5

In dieser Geschichte kehrt Baba Dunja als Greisin zurück in die Todeszone, in ihr verstrahltes Dorf Tschechowo, in ihr von verrückten Spinnennetzen ausgefülltes Haus, versorgt sich selbst mit Beeren, Gemüse und Früchten aus ihrem verstrahlten Garten.

Ob das Buch nun harmlos, flach, schal, leblos, unglaubhaft ist, will ich hier nicht erörtern. Jemand kritisiert, dass der Handlungsort austauschbar sei. Dem muss ich als Bewohnerin der Zone 2 des Kernkraftwerkes Mühleberg zustimmen. Die Behörden basteln an Plänen für den Notfallbevölkerungsschutz, welche ans Absurde grenzen. Regelmässig werden die Sirenen getestet. (Diese sind bei den neuen mehrfach verglasten Fenstern kaum zu hören.) Voraussetzung zu einer Evakuierung von Zonen 1 und 2 wäre ein Zeitfenster von sechs Stunden, in welchem „noch keine Radioaktivität im KKW austritt“. Dann muss man die Windrichtung prüfen, um zu entscheiden, wohin zu flüchten ist. Bei Westwind ja nicht Richtung Bern, bei Südwind keineswegs nach Lyss oder Biel und bei Nordwind die Strasse nach Freiburg unbedingt meiden.

Lebenswichtiges aus dem Merkblatt (zusammen mit Jodtabletten aufbewahren!):
Hinterlassen Sie die Wohnung für längere Abwesenheit (Stecker ausziehen, Heizung zurückdrehen, Fenster und Wasserhahn schliessen, Kerzen ausblasen).
Falls Sie Haustiere zurücklassen müssen, schreiben Sie die Räume an, in welchen sie sich befinden!
Nehmen Sie ausreichend Lebensmittel, Jodtabletten, Kleidung, Dokumente, Familienalben und Geld mit.
Natürlich vorher noch Handy aufladen!
Der Bundesrat sagt, dass die Bevölkerung das bedrohte Gebiet selbstständig im ÖV oder im Auto verlassen muss.
Wer keine Mitfahrgelegenheit hat, wartet an einer der sechs Sammelstellen, bis ein Postauto mit Chauffeur in Schutzanzug kommt.
Wer nicht allein zur Sammelstelle findet, kann sich bei der Gemeindeverwaltung melden.

Meine „sichere“ Notfallunterkunft ausserhalb der Zone 2 wäre das Aufnahmezentrum Schwarzenburg – allerdings nicht bei Nordwind.