Fr 27 Dez 2013
Als die reformierte Kirche Ende der achziger Jahre den Jugentreff schloss und den Beitrag an die Quartierbibliothek (Fr. 4000.-/Jahr) mit der Begründung aufkündigte, die Angebote würden ja hauptsächlich von „Nichtchristen“ genutzt, trat sie aus der Kirche aus. Der Pfarrer bat sie inständig, diesen Entschluss zu überdenken und sich wenigstens ein Türchen … Die Austrittsgründe möge sie doch bitte einem Ausschuss des Kirchgemeinderats darlegen. Sie unterschrieb das Austrittsformular bei der Kirchensekretärin Frau Freudiger, die ausserdienstlich ins Büro kam (der Gerechtigkeit halber muss geschrieben werden, dass auch ihr Pensum um 15% gekürzt worden war). Somit fiel das Türchen zu.
Das war vor 25 Jahren.
Da der Schnee anstatt auf der Erde im Sprunggelenk sich anhäuft, also kein festlicher Schneespaziergang, beschliesst sie, wieder einmal in die Kirche zu gehen. Die Auswahl der Events im Quartier sind vielfältig: „Kirche im Quartier“, „Familiengottesdienst mit anschliessendem Nachtessen“, „Festliche Mitternachtsmesse“, „Christnachtfeier“, „Gemeindeweihnacht“, „Weihnachtsgottesdienst mit oder ohne Abendmahl“. Sie wählt Familiengottesdienst „Mitsingweihnachten“ da sie gerne mitsingt, d.h. im Alter nun gerne mitbrummt. Sie weiss unzählige Strophen auswendig, aber leider werden die Lieder in der Kirche alle zu hoch angestimmt.
Zusammen mit zwei willigen Familienmitgliedern marschiert sie unter dröhnenden Glockenklängen (der moderne Turm ist viel zu niedrig), vorbei an den Reihenhäusern, deren Fenster festlich scheppern, zur Kirche. Rechaudkerzen in Konfigläsern weisen den Weg. Das Gotteshaus ist gut besetzt. An drei Rottannen (einheimisch, anspruchslos, preisgünstig) brennen die Kerzen. Keine Kugel verdirbt die Schlichtheit. Ausser dem Notebook auf dem Pult vorne im Schiff hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert.
Sogar der grosse Stern hängt noch an der Wand, in den Achzigern gepatchworkt von den Dienstagsfrauen der Kirche.
Man hat sie damals zu diesem geselligfrohen Sticheln Nähen auch eingeladen. Obwohl sie zu dieser Zeit mit der Nadel flink umgehen konnte und so manch altes Kleidungsstück in herzige Kinderkleidchen umnähte, hielt sie sich von diesen Dienstagsfrauen fern. Ihre Freundin Heidi hat das nicht getan, trat in die bereits eng zusammengesteppte Gruppe ein. Heidis Dienstagsstiche an den Sternenschnipseln wurden von der Oberdienstagsfrau jeden Montag aufgetrennt, weil zu wenig fein. Heidi verliess, völlig zerknittert und zerstochen die Frauengemeinschaft noch bevor „der Stern“ alle seine Zacken hatte.
Nach den Glocken beginnt die Orgel in einer mächtigen Mark-und-Bein-Trauermusik zu brausen. Frau Nüssli, zuständig für den kirchlichen Unterricht, begrüsst die Gemeinde und erklärt das Programm. Nun wird der Text zu „Stille Nacht“ zwischen den Rottannästen auf die Wand projiziert. Man singt im Stehen. Prompt brummt sie „Chriist, der Retter…“, statt neu „Jeesus, der Retter…“.
Es folgen Bilder aus der Weihnachtsgeschichte, gespielt von Bethlehem-Kindern, die den kirchlichen Unterricht besuchen. Da ist eine türkische Quartierbeiz, in welcher es tipptoppes preisgünstiges Essen gibt. Wer zur Krippe will, fragt in der „Bais“ nach dem Weg nur leider ohne zu konsumieren, bis sich der Wirt mit seiner Tocher Hanna den Bauchladen umhängt und sich auch auf den Weg zur Krippe macht. Ein Kartonesel wird durch die Bankreihen getragen. Die Kinder sind voll dabei, haben nur manchmal Mühe, ihren Text von den zusammengehefteten A4-Blättern abzulesen.
Dazwischen wieder Gemeindegesang „Schtiu isch d’Nacht, heilig isch d’Nacht …“, begleitet auf dem Flügel von einer freiwilligen Helferin. Dann ein Gebet, gebetet von drei Frauen, für die Armen, Kranken, Hungernden, Obdachlosen, Menschen im Krieg und solche, die noch im Dunkeln wandeln (Nichtchristen??). Die Jugendlichen hinter ihr, welche die obligatorischen kirchlichen Lektionen ab-stehen, sind unterdessen in eigene interessante Gespräche vertieft.
Nach dem „Oh, du frööhliche, oh, du seelige …“ mit Text durch die Äste und dem Vaterunser geht die Feier dem Ende zu. Nicht ohne den Dank an alle: Danke den Kindern, dem Chor, der Pianistin, dem Organisten, der Praktikantin, die eingesprungen ist für das Gebet, dem Architekten, der die Kirche gebaut und ganz besonders dem Sigrist, der die Bäume aufgestellt und es in diesen Tagen besonders streng hat. Applaus ist erwünscht. Zusammen mit den zwei Familienmitgliedern spendet sie kräftig, nicht ohne zu flüstern, dass hier ein „Olé“ unangebracht sei.
Die Kollekte wird warm empfohlen. Sie gehe, wie vom Synodalrat der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn beschlossen, an die syrischen Flüchtlinge im Libanon. Nach dem Segen, lebhaft untermalt vom Schwatzen der Konfirmanden in der hinteren Reihe, stürmt die Orgel los, sie denkt unweigerlich – mit Bitte um Vergebung – an eine musikalische Verarschung.
Die RaucherInnen verlassen das Schiff in grösster Eile, werfen rasch noch eine Zigi in den Opferstock, während sie in ihrem Geldbeutel einen Fünfliber heraus klaubt.
So von Dank erfüllt, betritt sie die kleine Orange-Riesen-Filiale der Kirche gegenüber, verlangt nach der Filialleiterin, dankt dieser herzlich für ihre Arbeit in der Weihnachtszeit, richtet Grüsse und Dank aus dem Chauffeur, welcher in aller Frühe die Waren angeliefert hat, dankt dem Lehrling, der die Kühltruhe auffüllt, geht zur Kasse und dankt Frau Moosberg für ihren grossen Einsatz.
Frau Moosberg meint, dass das ganz normal ihr Beruf sei.
Danke, vergältsgott!
Dezember 28th, 2013 at 14:57
Also der Dank ist immer eine endlose Litanei, da hat sie natürlich recht. Aber mir täte es auch manchmal helfen, wenn ich etwas mehr Dank bekäme, gerade jetzt habe 5 E-Mails beantwortet mit Fragen, die mich wenig bis gar nichts angehen und ich wette einen zweiten Füfliber für die nächste Kollekte in meiner Kirche um die Ecke, dass da kein Dank sein wird. Es braucht halt schon den Zwang der Hauptversammlung oder des Kirchenschiffs. Vielleicht ist 2014 der Moment, wo ich nach zwei Jahren Abstinenz wieder mit offiziellen, ständig verdankten Freiwilligenarbeit beginne.
Dezember 28th, 2013 at 19:12
Du hast soo Recht! Obwohl ich mir bei dir noch mehr Freiwilligenarbeit nicht vorstellen kann, meinen herzlichen Dank hast du schon jetzt.
Zum obigen Beitrag: Ihr ist wahrscheinlich nicht ganz klar, weshalb der Sigrist einen „ganz besonderen Dank“ verdient, da er ja für seine Arbeit bezahlt wird.
Januar 4th, 2014 at 22:17
Mir gefällt die Kirche hier nicht. Von aussen geht’s ja noch, aber von innen? Die in der langen Strasse ist natürlich viel schöner! Wir könnten ja Ende Jahr in diese humpeln?