Er sitzt im „Höfli“ vor einem Glas Rotem, rote Rose und Ehrenurkunde hat er neben sich auf den Tisch gelegt. An der heutigen HV ist er für 45 Jahre Parteizugehörigkeit geehrt worden. Als Lokführer sei er jahrelang „das Kreuz“ gefahren: Romanshorn-Genf, Basel-Domodossola, sei dann in die oberen Etagen der Schweizerischen Bundesbahn aufgestiegen. „Weisst, ein Bürojob,“ meint Küre und nippt an seinem Glas. Für den heutigen Anlass habe er auf den Englischkurs der Pro Senectute verzichtet. Nein, er plane keine Amerikareise, er sei oft „drüben“. Dann erzählt er von seiner Tochter, die er besucht und die in der Nähe von New York lebt. Genauer genommen auf Long Island, noch genauer in den Hamptons. „Wow, eine Supergegend!“ sage ich und sehe vor mir weisse Strände und teure Star-Villen aus „Gala“. (Ist Küres Tochter vielleicht sogar ein Kindermädchen in einer Promifamily, geht es mir durch den Kopf).
Seine Tochter sei sehr lieb – Küre strahlt vor Stolz. Bei kühlem Wetter wärme Fränzi Vaters Pyjama im Tumbler an. Die Tischrunde ist völlig hingerissen von diesem originellen Liebesbeweis. Bitte, weiter erzählen! Die Tochter sei nicht nur sehr lieb, tut uns Küre den Gefallen, sie sei auch sehr schön! Der Mann hat unsere volle Aufmerksamkeit. Lieb und schön gepaart – ein Wunder! Nun wage ich endlich zu fragen, was Fränzi in dieser illustren Gegend so mache. „Sie modelt für Yves Saint Laurent die Pelzkollektion, dafür sind die ganz jungen Models nicht geeignet“, erklärt uns der Fachmann. Vor Kurzem sei sein Schwiegersohn zum Admiral der US Navy befördert worden. Wunderbar sei auch seine Enkelin, habe an ihrem Grossvater den Narren gefressen, sei talentiert und fleissig, bringe immer gute Noten nach Hause. In Amerika gehe halt kein Talent verloren. Stundenlang könnten wir Küre zuhören – ein stolzer, glücklicher Mann. Er müsse einfach nur gesünder essen, schimpfe seine Schwester, immer sitze er vor Rotem, Brot und Salami, damit müsse endlich Schluss sein.

Küre gibt mir noch die Adresse von Fränzis Model-Agentur. Die Frau ist wirklich schön: dunkle Chrüselihaare, strahlend blaue Augen – eine Venus von Bümpliz in den Hamptons.

Seit der HV gibt es eine stets wachsende Anzahl Männer, die ihren Schlafanzug im Tumbler vorgewärmt haben wollen – der Backlash ist programmiert.