Fr 12 Nov 2004
Libes Kind auf der WESTside …
Posted by 1st, female under Alles oder nichts , Totalsanierung[3] Comments
… du hast wunderbare Zukunftsaussichten, denn ab 2007 wirst du zusammen mit allen anderen an 365 Tagen im Jahr genau das tun können, worauf du gerade Lust hast. Wo? In dem für Europa einzigartigen Zentrum, dem Ort des 21. Jahrhunderts, wo Freizeit, Unterhaltung, Gastronomie und Einkauf verschmelzen.
Libes Kind, du wirst über die lichtdurchflutete Mall schlendern. Das öffentliche Leben wird völlig neu definiert werden. Dieses zeitgenössische Paradies, geschaffen von einer internationalen Persönlichkeit der Architektur wird den ramponierten Ruf unseres Stadtteils, von den Medien oft als „Unort“ beschrieben, aufwerten! Bis dahin müssen aber noch Berge von Erde versetzt werden. Zum Glück gibts aus dem Oberland einen Haufen Schutt, mit dem der Röstigraben vor meinem blogk aufgefüllt werden kann. Wir werden das Tor des Westens sein, „durch das die modernen Verkehrswege entlang jahrhundertealter Pfade in Richtung Westschweiz führen“. Wir gedenken der eingewanderten Burgunder und Alemannen. Damit wir der Romandie im täglichen Leben näher rücken, sind entsprechende Strassennamen geplant. Libeskind, auch 2007 wird es noch keine Gleichberechtigung der Geschlechter geben: Die gewählten Namen bezeichnen zehn verdiente Männer und fünf Frauen! Eine mögliche Postadresse könnte dann so aussehen: Herr Aston George Swampillai-Sturzenegger und Frau Tabea Sturzenegger Swampillai, Gilberte-de-Courgenay-Strasse 453 / 4 B, 3028 CH-Bern. Wir beide haben natürlich jeder Zeit einen umfassenden Rundblick auf die Baumaschinen und ihre frisch angelegten Pisten, die Rohre, durch welche die Erde über die Autobahn transportiert wird, die Betonmischtürme, die nachts beleuchtet sind und das Bauarbeitercamp. Alles sieht proper aus. Sauberer als der Waisenhausplatz oder die Münsterplattform. Nachdem wir, du, Kind und ich viele Jahre lang zugeschaut haben, wie diese Felder gepflügt wurden, wie die Kartoffeln, der Mais, der Weizen und die Sonnenblumen gediehen, wie die Krähen hinter dem Pflug her flatterten und die beiden Bussardpärchen ihre Kreise zogen, befinden wir uns auch hier in einer Zeit des Umbruchs.
November 12th, 2004 at 17:59
Und bei mir waren heute die Sozialarbeiter und haben gefragt, was gut und was schlecht ist im Quartier und ob ich Ressourcen hätte? Und auch, was ich von der Baustelle und der Libeskind-Shoppingmall halten würde? Ich bin schon ziemlich gewandt in solchen Anworten und habe heute bestimmt den Schlagwort-Rekord geschafft. Und der eine Sozialarbeiter war schon solcher in den Ostberliner Plattenbauten und drum habe ich den noch gefragt, auf welcher Verlotterungsstufe wir nun denn im europäischen Vergleich so stünden? Er findets noch ziemlich schokoladig bei uns und freut sich, Strukturen und Normen erhalten zu helfen, was in Deutschland eben schon vor die Hunde gegangen ist. Du hast die Armut erwähnt, ganz schlimm muss es auch mit Übergriffen, Gewalt und Angst sein. Gerade heute finde ich wieder einmal, dass wir nicht aufhören dürfen, Herzblut zu giessen in dieses Blogk-Quartier.
November 13th, 2004 at 02:15
Nun weiss ich auch endlich, libe Blogkistinnen, was das ist auf dem Bild ganz oben. WESTSide, WESTBank – das Begräbnis in Ramallah heute war doch auch sehr schön, der Verstorbene hätte seine helle Freude gehabt. Und wie Väterchen Arafat präzis auf das Ende des Ramadan hin sterben durfte. Soo schön.
Jetzt brechen auch dort neue Zeiten an, und da täte eine visionäre, städtebauchliche Erneuerung besonders Not. Herr Libeskind, bitte melden! Stellt euch vor: die Theodor-Herzl-Strasse in New Ramallah mündet in den Sheich-Yassin-Platz, der Emil-Habibi-Ring führt zur Residenz „Menachem Begin“. Dann finden sich auch die Menschen, und für Daniel L. liegt zumindest ein halber Nobelpreis drin.
November 13th, 2004 at 02:41
@Alphonse: ehrlich gesagt, gerade diese, wenigstens eine sehr ähnliche Vision hatte ich auch, als ich „Libes Kind“ las. Ich möchte noch einen Golda-Meir-Brunnen und meinetwegen auch einen Raymonda-Tawil-Spielplatz. Ich habe meine Ideen schon an alle weiter gegeben, die mir heute die Feierlichkeiten in Ramallah beschrieben – im Bus, auf der Strasse, im Laden – weil ich keine Zeit für den TV fand. Übrigens: meine gute Bekannte fand die ganze Beerdigung ein totales Affentheater, während sie in der Härira-Suppe rührte, damit auch hier im Westen der Ramadan ein würdiges Ende nehme.