Do 6 Apr 2017
Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?
Posted by 1st, female under Alles oder nichts , Kraut und Rüben[3] Comments
(Irgend einmal weiter unten passt dieses Foto in den Text.)
Den März-WMDEDGT-Tag verbrachte ich mit lästiger Grippe im Bett. Die Notizen zum 5. April kommen etwas verspätet. Die Inder würden jetzt sagen: Better late then never.
Weitere pünktlich erschienene WMDEDGT-Beiträge auf der Website der Initiantin dieser Rubrik.
Erika wachte auf und wusste nicht, wo sie war. Es war Nacht, aber hell. Sie tastete nach der Nachttischlampe, aber da war keine. Ihre Hand berührte die kalte Wand. Sie schreckte auf. Ein dicker Mond sah aus, als bückte er sich, um zu ihr hereinzuschauen…
Das bin natürlich nicht ich, sondern das ehemalige Model Erika Keiner. Erika hat sich eben von ihrem Ehemann getrennt und ist von einem Haus am Zürichberg in ein „Problemquartier“ an den Stadtrand gezogen. (Vor dem Aufstehen lese ich ein paar Seiten aus „Das wahre Leben“).
Heute stehe ich um sechs Uhr auf. Draussen ist es noch grau und kalt – Mantelwetter. Ich dusche und wasche mir die Haare, trockne nach Anleitung von „Brigitte Woman“ einzelne Strähnen (für mehr Fülle) und nur lauwarm. Bis ich draussen in der feuchten Luft bin, klappt das kurz mit dem Volumen. Dann lüfte ich die Wohnung, mache das Bett und räume das Geschirr aus der Spülmaschine.
Um zehn nach sieben Uhr hole ich meine Enkelin im 12. Stock ab, um sie ein Stück weit in die neue Schule zu begleiten. Obwohl sie den Weg gut kennt, kann ich ihr damit eine Freude machen. Am „Beerenplatz“ – die Ansagerin vermeidet das ä – steigt die Schülerin aus und ich beschliesse, eine Runde über die Endstation der Tramlinie zu drehen. Zuerst ein Stück durch die Altstadt Richtung Zytglogge, dann nach rechts. Von der Brücke aus habe ich einen weiten Blick auf die Aare mit den aperen Kiesbänken. An Museen und Villen vorbei ruckelt das Tram Richtung Südosten bis ans entgegengesetzte Ende der Stadt. Hier gibt es auch Hochhäuser. In der Wendeschleife hat jemand einige Gartenbeete angelegt. In zwanzig Minuten bin ich wieder in der Stadt.
Beim Bancomat erschrecke ich einen Kunden, als ich an das Nachbargerät trete. Man kann ja nie wissen, wer einem Geld oder Code entreisst. Ich biege in „meine“ alte Gasse und in das Haus, in welchem ich viele Arbeitsjahre verbracht habe, ein. In der früheren Lehrbuchsammlung befindet sich jetzt ein Café mit Polsterstühlen und Sofas.
Meine „Schale“ – mit einem Glas Wasser – wird umgehend gebracht. Ob ich auch ein „Gipfeli“ möchte? Nein, danke. (Wenn ich eins will, bestelle ich es.)
Mein einziger Vorsatz für 2017: alle versprochenen/geplanten Treffen mit Freunden und Bekannten (Mir mache gly öppis ab usw.) in die Tat umzusetzen. Heute habe ich mich mit den Eltern meines Schwiegersohnes verabredet. Sie erzählten mir von ihrer letzten und den früheren Reisen in die USA, wie sich alles verändert hat und wie kompliziert/teuer es sein kann, unterwegs eine Augensalbe verschrieben und verkauft zu bekommen. Besonders spannend finde ich ihre Eindrücke in den verschiedenen Nationalparks, wie z.B. dem Antilope Canyon.
Inzwischen ist es Mittag geworden. Ich verabschiede mich und fahre mit dem Tram nach Westen. Es ist sonnig und etwas wärmer geworden. Nicht weit von meinem Block entfernt steige ich aus und gehe noch für eine Weile in den Garten. Ich giesse den Salat und die Erdbeeren. Die Hosten und Hortensien erhalten etwas Dünger. Ich fülle die Vogeltränke mit frischem Wasser auf, was von einem Amselmännchen sehr geschätzt wird. Munter flatternd und spritzend geniesst es ein Bad und lässt sich von mir nicht stören. In den schattigen Büschen liegt eine grosse Katze und lässt sich auch nicht stören.
Die Zuckererbsen keimen. In diesem Jahr habe ich sie nach marokkanischer Art gepflanzt, nämlich mit vollen Händen dicht an dicht wie eine Schnur, nicht wie eine Kette eine Erbse in gleichem Abstand nach der anderen. Wir werden sehen. Meine Enkel lieben es, die Zuckererbsen jung und zart zu pflücken und roh zu essen. Das seien „grüne Chips“.
Ich mache noch ein paar erste Fötis zum Gartenjahr:
Jeden Frühling bin ich fasziniert von allen Pflanzen, die den Winter überstanden haben und wieder neu spriessen.
Die Schulglocke klingelt zum Nachmittagsunterricht. Ich schliesse das Gartentor ab und gehe nach Hause. Im Briefkasten finde ich einen schönen handschriftlichen Brief mit echter Briefmarke. Eine Bewohnerin aus dem benachbarten Quartier dankt für das Nachtessen vor einigen Tagen bei mir im 16. Stock.
Im Kühlschrank habe ich einige Reste vom Vortag. Zum Gemüsekäsereis schnipsle ich noch eine Schale Salat.
Gegen 15 Uhr besucht mich meine Nachbarin. In einer grossen Tasche bringt sie Gewürze, eine Lampe und fünf farbige Schals aus Marokko mit (Titelbild).
Zusammen mit ihrem Mann verbrachte sie den Winter in einem kleinen Dorf in Südmarokko. Mit dem Wasser in der Leitung klappt es immer noch nicht, aber man hat viel Zeit, die Kanister ausserhalb des Ortes füllen zu gehen, dabei ein bisschen Holz für das nächste Tajine zu sammeln und den Blick aufs Meer zu geniessen.
Bei Kaffee und Zitronenherzen erzählt mir Theres über ihre Reisen durchs Land u.a. von Taliouine, einer Berbersiedlung in ausgetrockneter bergiger Landschaft, an welcher eigentlich nichts Sehenswertes zu finden sei. Ausser im Herbst, wenn aus diesem kargen Boden so viele violette Krokusse wachsen, dass daraus bis zu 3000 kg Safran gewonnen werden können – alles in Handarbeit. Für 1 kg Safran braucht es die roten „Fäden“ (Narbenäste) von ca. 200’000 Blüten. Mir wird ganz schwindlig, wenn ich bedenke, dass eine Pflückerin pro Tag Blüten für 80 g Safran pflücken kann.
Das mitgebrachte, kostbare Gläschen aus Taliouine verstömt selbst verschlossen einen betörenden Duft.
Gegen 18 Uhr backe ich einen kleinen Zwiebelkuchen aus einem Rest Blätterteig und schnipsle noch mal Salat. Statt meine Röcke zu bügeln, lese ich ein paar Seiten, nein, nicht im Buch mit Erika in der kleinen Mietwohnung (siehe oben), sondern aus „Ein Sommer ohne Männer“ von Siri Hustvedt, einer Autorin, die ich bis vor einigen Tagen nicht kannte – ups und sorry.
Irgend einmal, als Heino Ferch vor dem Café Urania seine letzte Zigarette raucht, ist auch für mich Schluss für diesen Tag.
April 8th, 2017 at 22:02
Ein wunderbarer Bericht – an Vielseitigkeit schwer zu überbieten. Siri Hustvedt lohnt sich, ich mochte ganz besonders „Die zitternde Frau“ (kein Roman, autobiografisch, neurologische Aspekte, viel Reflexion).
April 9th, 2017 at 12:33
und wunderschöne Fotos! Ich habe gestern Läuse an den Rosen entdeckt, bevor ich dazugekommen bin, die biologische Mischung meiner Mutter profilaktisch zu spritzen.
Von Siri Hustvedt habe ich „Was ich liebte“ gelesen (zwei befreundete Familien in New York, ein Unfall verändert das Leben in ungeplante Richtungen). Ich war fasziniert, habe aber trotzdem nie mehr etwas von Hustvedt gelesen.
April 9th, 2017 at 22:47
Danke!
Ach, diese Läuse auf Rosen und Köpfen, die müssen immer so penetrant beweisen, dass sie auch zum Ganzen gehören.
Habe irgendwo gelesen, dass Siri Hustvedt einmal einen schweren Unfall hatte und aus dem Auto geschweisst werden musste.