Sonnseite

Im Dorf, in dem mein Vater lebt, bin ich heimatberechtigt. Nur durch Zufall, weil durch Heirat. Der Ort mit den Bauernhäusern, der Kirche, dem Friedhof, der Schmiede, der Post, der Landwirtschaftlichen Genossenschaft, dem Lebensmittelladen, dem alten und dem neuen Schulhaus, dem Viehschauplatz, dem Feuerweiher, der Webstube und der umwerfenden Aussicht auf Berge und See mit Rundblick vom Luzernischen übers Bernische zum Freiburgischen steht mir verbrieft als Heimat zu. Wie eine Klette hakt diese sich an mir fest, obwohl ich immer wieder versuche, sie los zu werden.
Keine Chance! In Gedanken kümmere ich mich um alles, was mich nichts angeht: um den gebrochenen Ast der Trauerweide, welcher herunter zu fallen droht, den nicht vorhandenen Fussgängerstreifen über die viel zu schnell befahrene Strasse nach Helgisried, das schräg hängende Christusbild in und das marode, kaum mehr begehbare Kopfsteinpflaster vor der Kirche, den dreckigen Dorfbrunnen, das verstaubte kleine Museum bei der Ruine, wo man das Gästebuch erneuern sollte usw.
Manchmal schreibe ich dem Gemeindepräsidenten ein Mail. So auch in der vergangenen Nacht, wo ich mich darüber beklagte, dass die Verkaufsstände vom Adventsmärit 2006 noch in der Gegend herum stehen.
(Er hat mir gleich geantwortet, hat veranlasst, dass subito weggeräumt wird.)
So lastet Heimat auf meinen Schultern und raubt mir manchmal den Schlaf.
Vergeht einmal ein Samstag, ohne dass ich im Dorfladen etwas einkaufe, fragt die
Inhaberin, ob alles in Ordnung sei, ob sie zu früh geschlossen hätte? Sie wolle sich nicht aufdrängen, hätte beinahe telefoniert. Sie öffne jederzeit, wenn wir etwas brauchten.