Mit gefasster Stimme berichtet der Nachrichtensprecher über die Aufbahrung in der Westminster Hall.

Ich war noch nie in England, und seit man bei der Coiffeurin nicht mehr mit der „Glückspost“ unter der Haube sitzt, bekomme ich kaum mehr Royales mit.

Kurz erinnere ich mich an den alten Zahnarzt in Delhi, den wir auf unserer Indienreise aufsuchten. Er kontrollierte die Zähne meiner Tochter: in Ordnung, aber vom vielen Schwarztee braun verfärbt. Meinem Stockzahn verpasste er mit sicherer Hand eine neue Füllung. Eine Weile blieben wir in der Praxis auf etwas verblichenen Polstersesseln, neben Vasen auf Tischchen sitzen und liessen uns über die zahlreichen gerahmten Fotos an den Wänden erzählen, die den noch jungen Zahnarzt mit seinem royalen Patienten und Freund Lord Mountbatten, Vizekönig von Indien zeigten.

Nun wird es Zeit für einen Griff zur passenden Lektüre.

Schon auf der ersten Seite verspricht Elke Heidenreich: „Zwei Stunden pures Leseglück!“ Wo sie recht hat, hat sie diesmal recht.

Obwohl von der Königin nie geadelt, gehört der Autor wahrscheinlich neben dem Herzog zu den Allerwenigsten, die diese Frau näher gekannt haben. Die Salto-Ausgabe mit der entzückenden Novelle habe ich schon oft verschenkt. Mir ist völlig unbegreiflich, weshalb das zauberhafte Büchlein so häufig in den Bücherbrockis – scheinbar ungelesen – zu finden ist.

Die Queen hat zu ihrem 80. Geburtstag den Kronrat zum Tee eingeladen. Aus ihrer Rede:

… Man hat zahlreiche Staatsoberhäupter getroffen und sogar bewirtet, von denen einige unsägliche Schurken und Kanaillen waren, und ihre Gattinnen kaum besser als sie. Man hat mit seinen Glacéhandschuhen bluttriefende Hände geschüttelt, man hat höflich mit Männern parliert, die eigenhändig Kinder hingemetzelt haben. Man ist durch Blut und Exkremente gewatet; als Königin, so habe ich oft gedacht, bräuchte man vor allem hüfthohe wasserdichte Stiefel. Mir wird oft ein gesunder Menschenverstand nachgesagt, aber das heisst im Grunde nur, dass man mir sonst nicht viel mehr zutraut, und folgerichtig habe ich auf Betreiben meiner verschiedenen Regierungen oft, wenn auch nur passiv, an Entscheidungen mitwirken müssen, die ich für wenig ratsam und oft schädlich erachtete. Manchmal ist man sich dabei vorgekommen wie eine Duftkerze, die einen Regierungsentscheid oder eine bestimmte Politik versüssen oder gar vernebeln soll…

Bennett, Alan: Die souveräne Leserin, S. 111-112, Klaus Wagenbach, 2008, ISBN 978-3-8031-1254-5