Woran erkennt man die hoffnungslos Dummen hier in Bern West? Daran, dass sie immer noch Hoffnung haben. Besonders dann, wenn sich ein hochkarätiges Team von Journalisten, Schriftstellern und Fotografen zusammentut, um eine Festschrift zum 50. Jahr Hochhausssiedlung zu gestalten, beginnt bei einigen noch nicht ganz toten Ureinwohnern dieses Fünkchen zu glühen.
Nachdem ich schon mehrmals auf das neue Buch angesprochen wurde, werfe ich mich im regen Abendverkauf auf das gelbe Ledersofa in der Buchhandlung und blättere durch. Eine völlig fremde Welt, die meine Heimat seit 35 Jahren sein soll, tut sich mir auf. Die Herausgeber hatten aus den vielen hundert Familien wirklich die exotischsten und vielköpfigsten ausgesucht. Bei mir kommt die Frage auf, ob die Menschen vielleicht bernwestmässigbunt arrangiert und speziell fürs Foto drapiert wurden. Meine hübsche Nachbarin, ohne sie würde hier die Quartierarbeit gar nichts laufen, steht z.B. melancholischen Blicks zwischen zwei Betonpfeilern, auf dem Bild völlig isoliert und aus ihrem Tätigkeitsfeld gerissen. Die Hauswarte treten als Pajasse und Anhängsel ihrer Putzutensilien auf, und klar darf der Muslim auf dem Gebetsteppich nicht fehlen. Für spiessige Wohnzimmer mit schönen Möbeln, Lampen, Bildern, Büchergestellen, Spielzeugen, Arbeitstischen wird kein Platz verschwendet, sonst könnte das Klischee Schaden …
Sicher werden mir einige Leute das Buch zu Weihnachten schenken, weils so gut zu mir passt und wie für mich gemacht. Dann lese ich auch die Texte der fast ausnahmslos ortsfremden Autoren.
Das Ansichtsexemplar klappe ich wieder zu und lege es zurück auf den Ausstellungstisch. Dann werfe ich den Schal um den Hals, hänge die Tasche um, schnappe meinen Einkauf (Stichsäge, Sparlampe, Saft). Beim Hinausgehen lacht mich der 5. Band „Die Katze des Rabbiners“ an. Da kann ich nicht widerstehen.

Es soll mir ja niemand sagen, ich sei wie die Leute aus New Bern, North Carolina. Die wurden von einem Schweizer fotografiert und hatten, bevor sie hier in Old Bern gefüttert, getränkt, getröstet, spazierengeführt und eines anderen belehrt wurden, keine Freude an den Bildern von ihrer Stadt.