(Gsür, Südostflanke, 30-01-2018, 10:30)

Nachdem die Wichtigen der Welt in der vergangenen Woche Sonne, Schnee, feinstes Essen samt ausgeklügeltestem Flattieren „auf Augenhöhe“ in den Schweizer Bergen genossen hatten, komme ich heute zu dem Schluss: so etwas oder wenigstens etwas Ähnliches will ich auch!
Heute schaue ich mal, was ich für eine Gemeinsame Zukunft in einer zerbrochenen Welt tun kann.

Meine Tochter (2nd2nd, female) und ich fahren Grossesmädchen ins Berner Oberland, wo ihre Schulklasse eine Schiwoche verbringt. Untergebracht ist sie in einem gemütlichen Holzhaus mit kleinen Fenstern und einem imposanten Blick auf die Bergketten der gegenüber liegenden Talseite.

Herr Müller vom Sportgeschäft stellt meiner Enkelin die Schibindung ein. Sollten die Schuhe drücken, nur sofort melden und umtauschen. Morgen sei nicht er, sondern Herr Bühler da mit seinem grossartigen Spezialhund. (Kann das Tier etwa Schischuhe und Helme anpassen oder Bindungen einstellen?)
Ich schaue auf das Hundekörbchen unter dem Sonnenbrillenständer und sage: „Gross kann der Hund jedenfalls nicht sein. Welche Rasse?“
„Border Collie, berühmter Lawinensuchhund. Eigentlich nimmt man immer nur einen Hund mit in den Rettungshelikopter, aber mit diesem aussergewöhnlich klugen Tier kann problemlos ein Artgenosse mitfliegen“.
Herr Müller, der auch Bergführer ist, sucht ein bisschen nach unserer Bestellung im Computer, lässt es dann bleiben und macht die Rechnung im Kopf.
Grossesmädchen nimmt seine Ausrüstung, steigt kurze Zeit später in die Gondel und entschwebt auf die Piste Richtung Elsighorn.

Da die Dorfbeiz geschlossen ist, machen wir beiden Frauen uns auf den Weg ins Tal. Auf der steilen, schmalen Strasse in engen Haarnadelkurven gibt es regelmässig über den Abgrund hängende handtuchgrosse Ausstellplätze um die entgegenkommenden Fahrzeugen passieren zu lassen. Man wäre nicht in der Schweiz, wenn beim Kreuzen nicht gedankt und gegrüsst würde: entweder zwei Finger vom Lenkrad heben, lächeln oder kurz nicken. Wir vom Unterland lächeln, heben und nicken gleichzeitig, fast überschwänglich, was uns als grüne Hörner enttarnt, obwohl meine Tochter ihr Gefährt flott und akkurat durch die Kurven zieht.
Einen Ausstell-Halt nutze ich, um einige Fotos zu machen.

Kandertal

Apere Alpweiden bestreut mit Oberländer Häusern, darüber Bergketten …

Sprossenfenster

… die sich in Sprossenfenstern spiegeln.

Wir kehren im „Bad“ ein und bestellen eine warme Suppe. Den Braten für heute habe der Koch schon gestern gemacht, müsse nur noch aufwärmen und hätte deshalb für eine Bouillon mit Ei Zeit. Beim Servieren entschuldigt sich die Kellnerin für die verschüttete Suppe. Seit Wochen leide sie an einer Nervenentzündung im Arm, grauenvoll schmerzhaft. Nicht einmal die Zigarette habe sie mehr halten können. Nun sei es besser, wenn auch noch nicht gut. Ob die Suppe „rächt“ sei? Auch hier nicken und lächeln wir wieder (siehe oben). Die Bouillon ist nicht als solche zu erkennen. Sie hat die trübe Farbe von Spülwasser. Darin schwimmen drei winzige Fädchen Schnittlauch. Das Ei ist in schleimigen grauweissen Fetzen auf den Grund der Schale gesunken. Wir essen alles auf und verzichten auf den schon in Erwägung gezogenen Braten. Die Kellnerin ist in kurzer Zeit beinahe unsere Freundin geworden. Sie dankt „für’s Bsüechli“ und wünscht einen wunderschönen Tag.

In einer der Bäckereien des Dorfes – das Haus ist himbeerrot gestrichen – kaufe ich ein dunkles, rundes „Gotthelfbrot“ und 4 Nussgipfel, die Spezialität des Hauses. An der Füllung wurde jedenfalls nicht gespart. Ich frage die Verkäuferin, wie der Bach heisse, der neben dem Laden durchs Dorf fliesse. Sie sei nicht von hier, habe sich das auch schon gefragt, aber sie glaube, es sei die Kander, weil ja dann irgendwo weiter hinten im Tal Kandersteg sei. (Habe später nachgeschaut: Es ist die Engstligen, welche erst ausserhalb des Ortes in die Kander mündet). Die Bäckerei führt auch das Café „Nidletupf“. Mir gefällt der Name gut, aber der Raum sieht eher trist aus.
Alles in allem war’s ein interessanter, beinahe exotischer Ausflug in die Berge.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich heute keine Scherbe der zerbrochenen Welt zusammengefügt – ausser, man würde das sauber gewickelte Kleinstmädchen, die Dutzend Liedli, die Gotthelfbrot-Ankeböckli mit Honig und das englische Bilderbuch, gelesen mit 2nd3rd, male anrechnen.

(Ich könnte auch noch die 4 gereinigten und neu eingefassten Bücher von Vicky Baum aus dem Amsterdamer Exilverlag Querido erwähnen. Ein Geschenk für 2nd, female von einem leidenschaftlichen Büchersammler.
Mit Pinsel, frischer Luft und feinem Schmirgelpapier habe ich sie lesend entstaubt.)

Aber hier (siehe ganz oben) geht es wohl nicht ums Kitten, sondern darum, in einem Scherbenhaufen doch noch ein paar komfortable Plätzchen zu finden.