Mit Bleistift

Heute habe ich Bleistifte im Überfluss.
Das war nicht immer so. Bevor ich in die Schule kam, durfte ich ab und zu mit dem Zimmermannsbleistift meines Vaters etwas auf ein Stück Holz oder Packpapier zeichnen. Bunt- und Bleistifte sah ich am ersten Schultag, als uns Fräulein Schneider eine rote Caran d’Ache-Schachtel mit dem kostbaren Inhalt verteilte. (Ich erinnere mich nicht, dass eines der zahlreichen Nachbarskinder schon im Vorschulalter eine Farbschachtel besessen hätte.)
Die Freude daran währte allerdings nicht lange. Mein kleiner Bruder kaute die bunten Stifte von oben her alle ab. Mutter versuchte – wie immer – die Katastrophe in den Griff zu bekommen, schnitt mit einem scharfen Messer das zerbissene Stück weg. Zurück blieben mickrige Stumpen, die ich in ein Blechröhrchen als Verlängerung stecken musste, damit ich noch zeichnen konnte.

Täglich gibt es etwas zu notieren. Es ist einfach ein Vergnügen, mit einem sauber gespitzten Stift auf ein weisses Blatt zu schreiben – kreuz und quer, wenn’s sein muss. Was ich aufschreibe?

Ich widme mich u.a. der bernischen Provinzliteratur. Mehr oder weniger vergessenen Autorinnen und Autoren, deren Werke in der Kantonsbibliothek stehen, versuche ich auf die Spur zu kommen. In Zeitungen, Kalendern, Jahrbüchern, Archiven, Diplomarbeiten, auf Gemeindeschreibereien, bei kirchlichen Behörden und nicht zuletzt im Telefonbuch versuche ich, etwas über ihr Leben zu erfahren und diese biografischen Notizen festzuhalten in einem Lexikon (Link folgt später), in welchem die weiter herum Bekannten wie Gotthelf, Dürrenmatt, Walser, Kracht, Zschokke, Bichsel … bereits ihren Platz gefunden haben. Frauenspuren aus dem 18. und 19. Jahrundert sind schwierig zu finden – aber ich habe ja genug Bleistifte und Papier und bleibe dran;-)
In dieser Sache halte ich es frei nach Pedro Lenz:

Es soll den zahlreichen Autorinnen und Autoren zur Ehre gereichen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Provinz literarisch veredelt haben, ohne dabei immer die Beachtung erhalten zu haben, die sie zweifellos verdient hätten.
Der geneigten Leserschaft können Auge und Geist geöffnen werden für die kleinen, aber bedeutenden Räume, aus denen sich die grosse Literaturwet letztlich zusammensetzt.

Lenz, Pedro: „Das kleine Lexikon der Provinzliteratur“, ISBN 978-3-908010-72-2