Mo 10 Jan 2005
Ich bin ratlos. Wie kann ich meinem blonden Schweizer noch helfen? Es vergeht keine Stunde, in der er nicht beleidigt wird. Schon zweimal in diesem Jahr erlitt seine Brille während der Schulzeit einen Totalschaden. Äusserlich bleibt er cool, aber wer weiss, was diese Plage mit einem Herzen anrichtet?
Der Bosnier tröstet mich: „Erinnern Sie sich, wie wir vor einem halben Jahr mit ihm umgegangen sind? Vor einem Jahr haben wir ihn noch viel schlimmer behandelt und vor zwei Jahren haben wir ihn sogar verprügelt. Seien Sie doch froh, Frau Lehrerin, wir sagen ihm ja schon nicht mehr so oft Fisch.“
Dann mischt sich die Albanerin ein: „Wenn dich der Schweizer in zehn Jahren in den Strassen trifft, wird er nicht mehr so nett zu dir sein wie heute. Er wird dir sagen: Du hast mir in der Schule viel Leid zugefügt, geh mir aus der Sonne, mit dir verliere ich keine Zeit mehr.“
Ja, die Klasse macht Fortschritte im Sozialverhalten, das zwar gerade aus der neuen Beurteilung gestrichen wird. Die Lernenden reflektieren die vergangene Schulzeit, sprechen über die Konsequenzen ihres Verhaltens und nennen sich schon öfter beim Namen.
Januar 11th, 2005 at 02:29
ich glaube irgendwie, dass er es schafft (der mit der Brille). Du siehst nur einen Ausschnitt in der Schule, die Kids haben auch ausserhalb der Schule Waagschalen, die gefüllt werden, oft mit Müll, klar. Aber manchmal auch mit Zuneigung. Vielleicht hat es in seiner Waagschale etwas, was den anderen fehlt, immer ein willkommener Quäl-Anlass (3rds Turnhose haben sie heute in Wasser und Spucke eingeweicht, so ist das Leben im Schulzimmer, unzensiert).
Januar 12th, 2005 at 18:19
Gerade habe ich einen WOZ-Artikel über Mentale Fitness gelesen. Darin gehts um Höchstleistungen, die zum Zeitpunkt X abgerufen werden können. Gerne gebe ich diese Information an eine Frau Lehrerin weiter. „Archaisch, gesehen hätten wir zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht …“, meint der Sportpsychologe Dr. Hanspeter Gubelmann. Er zeigt seinen Athleten, wie sie ihre Gedanken schulen können, macht mit ihnen den d2-Test und arbeitet mit einer Blackbox für schlechte Gedanken. Leider ist der bemerkenswerte Artikel von Andi Portmann im Moment noch nicht online. Er kann aber bei mir gelesen werden.
Januar 12th, 2005 at 20:27
Ich bin gespannt auf diese Blackbox, entscheide mich jedoch für die Flucht aus dem Schulzimmer und gebe mich in diesem unendlichen Kampf geschlagen. Meine Therapeutin hat mich heute darin bestätigt: treten Sie aus der Schusslinie und kommen Sie von der Front nachhause. Schon meine Praxisanleiterin hat meine Klasse mit einem Minenfeld verglichen. Herrscht Krieg?
Januar 13th, 2005 at 19:31
Yep, Pausen braucht es. Sonst Burnout und fertigaustot.
Aber Flucht… Ich glaube Kampfgeist ist schon angebrachter und Tote haben wir ja doch nocht nicht in der Schule (im Vergleich zu anderen Ländern wie Russland, Deutschland, USA).