Ein Dach �¼ber dem Kopf

An der Bushaltestelle unter der Autobahnbrücke steige ich aus und fahre mit dem Lift hinunter zur S-Bahn Station Ausserholligen (SBB/BLS). Die Lifttür ist versprayt, der Boden voller Spucke, das Licht kaputt. Hoffentlich bleibe ich darin nicht stecken, denn noch immer habe ich hier mein Handy-Abo.
Die Haltestelle ist hässlich, mit zwei zwischen Betonstützmauern eingequetschten Geleisen – ein Unort. Kein Mensch weit und breit, dafür eine Infosäule, mit Knopf und einem kleinen Lautsprecher „Hier sprechen“.
Nun rumpelt die Zugskomposition der BLS heran, wie oft an den Samstagen handelt es sich um alte Wagen, deren Besteigung einer mittelschweren Klettertour gleicht. Der Zug kommt in einer Kurve zum Stehen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um per Knopfdruck die Tür zu öffnen. Diese bleibt zu. Als ich mit meinem Gepäck bei der nächsten ankomme, setzt sich der Zug vor meiner Nase in Bewegung. Mit meinem Einkaufswagen, einer Papiertasche und einem Henkelkorb gefüllt mit Sonnenblumen und Kürbisschösslingen mache ich mich fluchend daran, das Postauto ins Dorf auf Umwegen zu erreichen. (Aus Spargründen steht dieses in einer Vorortsgemeinde und fährt seit drei Jahren nicht mehr in die Stadt.)
Um mich ein bisschen zu beruhigen, kaufe ich im Hauptbahnhof einen grossen Becher Kaffee, der nach einer vierten Hand verlangt. Den Korb hänge ich an den Arm, die Papiertasche knüpfe ich an den Einkaufswagen. Wenig unterscheidet mich nun von einer Stadtstreicherin, was die Leute nicht daran hindert, mich mit einem Auskunfstbüro zu verwechseln. (Auch auf mir völlig fremden Bahnhöfen im Ausland werde ich nach Zuganschlüssen, Klos, Postbüros, Gepäckaufbewahrung, usw. gefragt.)
Endlich, wenn auch knapp zur Zeit im Postauto angekommen, belege ich vier Plätze und geniesse den Blick auf die blühenden Bäume unter welchen sich Lamas, Wasserbüffel, schottische Hochlandrinder, Dahmhirsche und einige einheimische Kühe am Wiesenkerbel gütlich tun.
Im Dorf hat man „den Geranium“ vor die Fenster gesetzt und Fahnen und Flaggen gehisst. Auch Vater hat zum grossen Schwingfest das Haus beflaggt. Um Geranien auf den Fensterbänken mag er sich in seinem hohen Alter nicht mehr kümmern. Ich setzte kühn Begonien und Rosenstöcke aus Stoff und Plastik made in China in die Töpfe.
Der alte Mann ist froh, dass sie kein Wasser brauchen. Vor dem einzigen Gasthof des Dorfes übt die Dormusik für ihren grossen Auftritt am Abend.
Ich pflanze die Sonnenblumen und Kürbisse in den Garten, besorge die Wäsche, hole Holz und Späne ins Haus, beziehe Vaters Bett frisch, giesse die Pflanzenrabatte und die echten Blumen vor dem Haus, gebe dabei (natürlich gerne) den vorbeiziehenden Pilgern und Pilgerinnen Auskunft über den Jakobsweg, das Kloster, die Abfahrtszeiten des Postautos, das nächste öffentliche Klo (in der Martinskirche), die Namen der Alpen- und Voralpengipfel, den Wanderweg Richtung Schwarzenburg und das Atelier des bekannten Dorfmalers. Dann kaufe ich ein und bereite das Essen für den Sonntag vor.
Anschliessend steige ich unters Dach auf die Bühne, um die mittlere Fahne, die sich an einem Draht verfangen hatte, zu entwirren.

Schwingfest

Etwas nach 17:00 Uhr steige ich wieder ins Postauto Richtung Stadt. Auf dem „grössten privaten Bauplatz der Schweiz“ pflücke ich noch einen Strauss Margeriten, „Zantihansen“, wie meine Grossmutter sie nannte. Eine Nachbarin kommt und sagt mir, dass sie hier schon lange einen Strauss pflücken wollte, es aber noch nie gewagt hätte. Ich nehme meine Kamera und fotografiere sie zusammen mit den Margeriten, die auch Gemeine oder Weisse Wucherblumen heissen.
Mit dem Gedanken, dass es diese Wiese bald nicht mehr geben wird, ziehen wir beiden Frauen etwas wehmütig vom Feld.
Aus meinem Einkaufswagen riecht es nach frischem Brot. Die Nachbarin hatte mir einen „Kornring“ hinein gelegt.