Unser Quartier kann manches nicht mehr bieten, was in meiner Kindheit noch selbstverständlich war: Deutschkenntnisse, Studienabschlüsse, Sauberkeit, Seifenkistenrennen, Kasperlitheater. Doch seit Gründerzeiten ungebrochen ist ein Talent, welches man eher in der Häuschensiedlung erwarten würde als im Block: das Handwerkeln. Ich glaube fast, wir gehören zu den letzten Winkeln Berns, wo Löcher eigenhändig zubetoniert werden, wo einfach einmal einer die Scheibe glast, wo an Bushaltestellen gestrickt und vor der Hochzeit die halbe Aussteuer gehäkelt wird.

Besonders auffällig ist die Handarbeit für die Solidaritätsbekundungen. Heute begegneten mir auf dem Bus zwei Mädchen, die kaum unter ihren viel zu grossen Baseballcaps hervorgucken konnten. Erst aus der Nähe erkannte ich, dass die schwazen Kopfbedeckungen mit knallrotem Schirm aus dem Warenpostenladen mit tibetischen Drachen und „Tibet“ bestickt waren.

Oder am Tag nach dem Unabhängigikeitstag… Ich konnte es nicht lassen, zum orangen Riesen des Quartiers ins Restaurant zu sitzen. Klein Kosovo hatte frei genommen jedem sah man an, weshalb: Frauen hatten rote Schleier mit schwarzen Adlern bestickt, kosovarische Kinder waren damit beschäftigt, das UCK-Wappen auf ein Etui, einen Rucksack, eine Jacke, ein Hosenbein zu malen. Der Renner jedoch waren die roten T-Shirts! Dass sie überhaupt in dieser Menge erworben werden konnte, liegt bestimmt an vorausschauender Einkaufpolitik kosovarischer C & A-Mitarbeiterinnen.

Manche der roten Liibli waren mit ausgefransten Filzstiftworten beschrieben, aber die Vornehmeren waren benäht. Am allerbesten hat mir mein echt debiler Nachbar gefallen, über dessen grossen Bauch sich ein riesiger schwarzer Filzadler spannte.

Auch traurige Anlässe lassen in unserem Quartier die Emsigen erwachen. Ich erinnere mich gut an den Märztag vor vier Jahren, als in Madrid die Züge und Menschen gesprengt wurden. Noch am gleichen Tag waren hier rot-gelben Solidaritätsschleifen an Kleidern und Kinderwagen aus Papier und Stoff zu sehen und Fahnen pro Zapatero und contra Aznar flatterten aus den Fenstern. Längst vergessene spanische Zierkissen, von Grossmüttern geschaffen, wurden aus dem Keller geholt, auf Sofas drappiert oder unter die Heckscheibe der Autos gelegt.